Rheinische Post Langenfeld

Eben kurz die Welt retten

Es ist ein historisch­er Moment: Am Dienstag soll eine Sonde einen Asteroiden treffen, um seine Bahn zu verändern. Es wird der erste Test dieser Art sein – für den Fall, dass ein Himmelskör­per auf Kollisions­kurs mit der Erde ist.

- VON LUDWIG JOVANOVIC

Elf Monate war „Dart“unterwegs. Eine unscheinba­re, kleine Sonde der US-Weltraumbe­hörde Nasa, die vielleicht so groß wie zwei Kühlschrän­ke ist. Und doch wird sie möglicherw­eise der Schlüssel sein, um in Zukunft Tausende zu retten. „Dart“wird am Dienstag um 1.14 Uhr nachts deutscher Zeit mit einem Asteroiden zusammenst­oßen – um seine Bahn ein wenig zu verändern. Es ist der erste Test dieser Art. Und bei einem Erfolg wäre eine solche gezielte Kollision der beste Weg, um einen Himmelskör­per abzulenken, der sonst auf der Erde einschlage­n würde – mit katastroph­alen Folgen.

Bei dem Ziel von „Dart“indes besteht diese Gefahr nicht. Es handelt sich um einen 160 Meter großen Asteroiden mit dem Namen Dimorphos. Seine Masse beträgt grob geschätzt fünf Millionen Tonnen. Sehr viel mehr weiß man nicht über ihn – außer dass er der Mond eines noch größeren Asteroiden ist: der 780 Meter durchmesse­nde Didymos. Den umkreist er in elf Stunden und 55 Minuten. Aber genau darum ist er ein perfektes Ziel für den einzigarti­gen Test. Sollte der Einschlag Erfolg haben, müsste sich diese Umlaufzeit ein wenig verkürzen – was sich von der Erde leicht messen lässt. Darum werden Teleskope auf der ganzen Welt und auch im Weltraum ihren Blick auf Didymos und Dimorphos richten. Wenn elf Millionen Kilometer von der Erde entfernt der 570 Kilogramm schwere „Dart“mit 6,1 Kilometer pro Sekunde (knapp 22.000 km/h) einschlägt.

Auf seinen letzten Metern und eine Stunde vor der Kollision muss die kleine Sonde ihr Ziel selbststän­dig finden. Dafür wurde ein neues Kamera-Navigation­ssystem entwickelt, das erstmals getestet wird. Das aber erlaubt es Menschen weltweit, zeitgleich mit den Wissenscha­ftlern bei dem Versuch dabei zu sein. Sein Anflug und der Einschlag werden im Internet live übertragen – mit etwa einem Bild pro Sekunde.

Aber Dart wird auch aus nächster Nähe beobachtet. An Bord befindet sich ein nur 14 Kilogramm schwerer italienisc­her Mini-Satellit, „Licia Cube“, der Mitte September abgekoppel­t worden ist. Er wird den Einschlag aus nur 100 Kilometern Entfernung verfolgen und sich drei Minuten danach Dimorphos bis auf unter 60 Kilometern genährt haben. Das ist der Sicherheit­sabstand, weil man nicht genau weiß, woraus der Asteroid besteht. Ist er hart wie Granit oder so nachgiebig wie Sand?Wie viel und wie weit wird

Material bei dem Einschlag ausgeworfe­n? Diese Daten wird der italienisc­he Satellit zur Erde senden.

Nach wenigen Tagen, vielleicht sogarWoche­n, sollte man dann wissen, wie weit„Dart“die Bahn des Asteroiden beeinfluss­t hat. Sollte es Monate dauern, war der Effekt zu gering. Aber auch das werden wichtige Erfahrunge­n sein für zukünftige Versuche dieser Art. Detaillier­te Erkenntnis­se über die Kollision wird man erst 2027 erhalten. Die europäisch­e Weltraumor­ganisation Esa startet 2024 mit der Sonde Hera zu Didymos und Dimorphos. Fünf Jahre nach dem Einschlag soll sie dann den Krater untersuche­n, den„Dart“hinterlass­en hat. Wie groß ist er? Wie hat er sich geformt? Daraus lassen sich neue Modelle zu Kraterents­tehung ableiten. Schließlic­h weiß man genau, was dort mit welcher Geschwindi­gkeit und Masse eingeschla­gen ist. Zudem werden weitere Daten zur Zusammense­tzung der beiden Asteroiden gesammelt. Dabei wird Hera unterstütz­t von den Mini-Satelliten Milani, benannt nach dem italienisc­hen Astronomen Andreas Milani Comparetti, und Juventas – nach der Tochter der Göttin Hera.

Aus den Beobachtun­gen lassen sich dann weitere Rückschlüs­se ziehen, wie man die Bahn von Asteroiden ablenken kann – falls die Gefahr eines Einschlags auf der Erde bestehen würde. Anders als in Filmen wie „Armageddon“wären Atombomben nicht hilfreich. Selbst wenn sie einen Effekt hätten, würde eine Sprengung aus einem großen Problem viele kleinere Katastroph­en nach sich ziehen. Nach Angaben der Nasa kennt man die größten Bedrohunge­n bereits, die bei einem Einschlag die gesamte Menschheit auslöschen würden – wie vor 66 Millionen Jahren die Dinosaurie­r. Tatsächlic­h sind alle erdnahen Himmelskör­per erfasst, die größer als 10.000 Meter sind, und 95 Prozent aller Asteroiden und Kometen mit einer Größe von mehr als 1000 Metern.

Die Gefahr geht von einer anderen Klasse um die 140 Meter aus. Davon soll es nach Schätzunge­n der Nasa rund 25.000 in Erdnähe geben – aber nur knapp 40 Prozent wurden bislang katalogisi­ert.

Bei einer Kollision würden sie Krater von ein bis zwei Kilometer Durchmesse­r hinterlass­en. Das könnte je nach Einschlags­ort – wie beispielsw­eise einer Metropolre­gion – in einer verheerend­en Katastroph­e münden und Zehntausen­de Menschenle­ben kosten. Und wie gefährlich schon kleinere Himmelskör­per sein können, zeigte im Februar 2013 das Ereignis von Tscheljabi­nsk in Russland. Damals explodiert­e ein nur 18 Meter großer Asteroid in der Atmosphäre. 1600 Menschen wurden verletzt, und es entstand ein Schaden von umgerechne­t 30 Millionen Euro.

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