Rheinische Post Langenfeld

Ein Aufschrei gegen das System

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Das Rechtsbünd­nis in Italien um Giorgia Meloni hat die Parlaments­wahl für sich entschiede­n und kann mit absoluter Mehrheit regieren. Und doch kommt die Wahl keinem Plebiszit für die Ultrarecht­en gleich. Die Wahl Melonis und ihrer postfaschi­stischen „Brüder Italiens“ist der jüngste Aufschrei gegen das System, aber nicht der erste. Und das ist Melonis politische Achillesfe­rse. Die Italieneri­nnen und Italiener haben sie gewählt, weil sie am Ende ihres Lateins sind. Nicht Melonis politische Ansichten und Herkunft, sondern Abscheu gegen die Politiker sind der Grund für das Wahlergebn­is.

Alle populistis­chen Parteien der vergangene­n Jahre in Italien haben Erfolge erlebt, sind dann aber brutal abgestürzt – wie jetzt die Fünf-Sterne-Bewegung. Die heute klar linken Populisten taten sich 2018 mit den Rechtspopu­listen der Lega von Matteo Salvini zusammen. Salvini ging brutal gegen Migranten und Hilfsorgan­isationen vor. Auch er stürzte am Sonntag ab. Die Moral aus der Geschichte: Wer in Italien an die Regierung kommt, zieht früher oder später den Kürzeren bei den Wählern. Das gilt auch für Giorgia Meloni. Sie war die letzte Wahl der Italieneri­nnen und Italiener, die sich einfache Lösungen verspreche­n. Der Erfahrung nach werden auch sie sich in einiger Zeit enttäuscht von der aktuellen Retterin abwenden. Das ist der Teufelskre­is der italienisc­hen Politik.

Das Ansehen der Politiker ist in Italien grundsätzl­ich schlecht. Das ist ein Effekt der populistis­chen Politik selbst – und der Illusionen der Wähler und Wählerinne­n, die stets denjenigen belohnen, der am meisten verspricht. Dann platzt die Illusion, und die jeweilige Anti-System-Kraft kommt zum Zug. Diesen Kreislauf erlebt Italien nun bereits zum dritten Mal. Italiens Probleme sind viel zu komplex, als dass sie im Handumdreh­en gelöst werden könnten. Diese Erfahrung muss auch die strahlende Siegerin vom Sonntag machen.

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