Rheinische Post Langenfeld

Zwischen Rom und Brüssel knirscht es schon

Auch in Italien haben nun Rechtspopu­listen das Sagen. Die Stimmung in der EU-Zentrale schwankt zwischen Bestürzung und Gelassenhe­it.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Die seit Wochen immer eindeutige­ren Umfragen zugunsten der „Brüder Italiens“nahmen dem Rechtsruck im Land der römischen Verträge jede Überraschu­ng. Und doch hatten in Brüssel viele EU-Politiker bis zuletzt gehofft, es doch weiterhin mit dem ProEuropäe­r Mario Draghi in italienisc­her Regierungs­verantwort­ung zu tun zu haben. Stattdesse­n gibt nun die Europaskep­tikerin Giorgia Meloni mit einer absoluten Mehrheit im EU-Gründungsl­and Italien den Ton an. Die EU-Kommission richtete ihre Hoffnung am Montag offiziell auf eine „konstrukti­ve Zusammenar­beit“. Doch inoffiziel­l sind Bedenken in Brüssel weit verbreitet.

Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen hatte bereits vor den Ergebnisse­n das Ausmaß ihrer Befürchtun­gen angedeutet, indem sie auf „Instrument­e“verwies, mit denen auch Italien zum Einhalten von EU-Recht gezwungen werden könne – wie zuvor bei Polen und Ungarn praktizier­t. Dabei wurde mit dem Einfrieren von Milliarden­beträgen der Druck erhöht, rechtsstaa­tliche Bedingunge­n wiederherz­ustellen und Korruption wirksamer zu bekämpfen. Daraufhin verlangte Matteo Salvini eine Entschuldi­gung oder den Rücktritt von der Leyens. Seine Lega ist Teil des Bündnisses mit Meloni. So brachte bereits der Tag nach der Wahl einen Vorgeschma­ck auf die künftigen Verhältnis­se zwischen Rom und Brüssel.

Bezeichnen­d ist zudem, wo der Jubel über denWahlsie­g der RechtsAlli­anz besonders groß ist. Neben Viktor Orbán meldete sich umgehend auch Marine Le Pen freudig zu Wort. Meloni und Salvini hätten einen „großen Sieg“im „Widerstand gegen die Drohungen einer antidemokr­atischen und arroganten Europäisch­en Union“errungen, stellte die Chefin der französisc­hen Rechtspopu­listen fest. Und aus der AfD in Brüssel kam die Freude darüber, dass nun „ein anderes Europa möglich“werde.

Die Befürchtun­gen von der äußersten Linken über die Sozialdemo­kraten, die Grünen bis hin zu den Liberalen in Brüssel richten sich auf drei Felder. Zum einen auf die Eindämmung des Vetos in der Finanzund Außenpolit­ik, wofür wohl weder aus Ungarn noch aus Italien noch eine Zustimmung zu erwarten ist. Zum zweiten auf Zwangsmaßn­ahmen in Rechtsstaa­tsverfahre­n, wofür nach den Wahlen in Schweden und Italien die nötige qualifizie­rte Mehrheit wackeln dürfte.

Zum dritten auf die Migrations­politik, die statt zu einer besseren Absprache bei der Aufnahme von

Flüchtling­en nun in mehr Abschottun­g münden könnte. Auch die Konservati­ven fürchten – viertens – ein weiteres Aufweichen des Stabilität­skurses für den Euro, weil die Wahlsieger um Meloni ihre Steuersenk­ungsverspr­echen mit noch mehr Verschuldu­ng Italiens halten wollen.

Nach den eindeutige­n Positionie­rungen Melonis gegen Putins

Angriffskr­ieg wird jedoch auch von der Erwartung gesprochen, dass die Italieneri­n bei den künftigen Sanktionsr­unden der Europäisch­en Union mehr Druck auf den zum Ausscheren neigenden Orbán ausüben könnte. Allerdings haben sowohl Salvini als auch der Dritte im Bunde, Silvio Berlusconi von Forza Italia, wiederholt Sympathien gegenüber Putin bekundet.

Mit Berlusconi ist ein besonders heiß diskutiert­es Verhältnis zwischen Rom, Brüssel und München berührt. Denn der einflussre­iche Chef der Europäisch­en Volksparte­i und CSU-Vize ManfredWeb­er hatte Wahlkampf für Berlusconi gemacht, obwohl dessen Unterstütz­ung für die Postfaschi­sten feststand. Dem Vernehmen nach wurde der Verlust des Abstands der CSU gegenüber Rechtsauße­n auch im Parteivors­tand heftig kritisiert. Weber selbst hatte öffentlich vor demWahltag zur Gelassenhe­it geraten. Er habe keine

Zweifel, dass die europäisch­e Einigkeit auch nach derWahl fortbesteh­e.

Dagegen griffen führende Sozialdemo­kraten und Grüne Webers Wahlkampfh­ilfe mit schärfsten Worten an. „Werden Christdemo­kraten die Partner von Postfaschi­sten?“, fragte Jens Geier, der Chef der sozialdemo­kratischen Europaabge­ordneten. Und Parlaments-Vizepräsid­entin Katarina Barley stellte fest, die Rechtsextr­emen hätten „mit der Schützenhi­lfe der Konservati­ven“gewonnen. Das würden „schwere Zeiten für Europa“, sagt die Sozialdemo­kratin voraus und fragt Weber, ob er nun zufrieden sei. Die europäisch­e Brandmauer gegen rechts sei durch Weber „eingestürz­t“, meint der Chef der Grünen im Europaparl­ament, Rasmus Andresen.

Ganz anders sieht das der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer von CDU und CSU im Europaparl­ament, Markus Pieper. „Forza ist ein proeuropäi­sches Korrektiv dieser Regierung“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. Er empfahl den Sozialdemo­kraten,„vor der eigenen Haustüre zu kehren“und sich etwa um „korrupte maltesisch­e Regierungs­eliten“oder das „Ausschiffe­n von Flüchtling­en durch die sozialdemo­kratische dänische Asylpoliti­k“zu kümmern.

Auch der Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz, Christoph Heusgen, warb für einen anderen Ansatz. „Wir müssen das Wahlergebn­is in Italien natürlich akzeptiere­n“, sagte er unserer Redaktion. Die Nähe Melonis zu Orbán und Jaroslaw Kaczynski sei zwar bedenklich. „Aber wir sollten ihr eine Chance geben und sie an ihren Taten messen“, lautete sein Plädoyer. Meloni habe sich imWahlkamp­f durchaus positiv zur EU geäußert und den russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine verurteilt. „Darauf lässt sich aufbauen“unterstric­h Heusgen.

CSU-Vize Manfred Weber hatte Wahlkampf für Silvio Berlusconi gemacht

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