Rheinische Post Langenfeld

„Heilige Schriften sind immer Poesie“

Der Friedenspr­eisträger hat ein Buch über den Glauben geschriebe­n – nicht nur über seinen eigenen, den Islam.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Kermani, als Sie den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s bekamen, baten Sie alle Anwesenden in der Paulskirch­e, gemeinsam zu beten. Hatten Sie Sorge, dass die Versammelt­en da möglicherw­eise nicht mitmachen?

KERMANI Ja, durchaus. Ich war einfach darauf gespannt, was jetzt passiert.

Warum war Ihnen das so wichtig? KERMANI Ich habe es damals gar nicht so sehr gemacht für die, die in der Paulskirch­e versammelt waren, sondern für den Priester Jacques Mourad, über den ich in meiner Rede gesprochen hatte und der mit seiner Gemeinde in Syrien vom IS entführt worden war. Das Gebet war eine Kommunikat­ion mit ihnen. Irgendwie glaubte ich, dass es ihnen hilft, wenn die Menschen in Frankfurt in diesem Augenblick bei ihnen sind.

Glaubten Sie in diesem Augenblick oben auf dem Podium wirklich daran?

KERMANI Ob Beten wirklich hilft, lässt sich wissenscha­ftlich nicht nachweisen. Aber es sind immer Dinge, die man sich wünscht, die man erhofft, und allein darin, dem Wünschen, dem Hoffen, liegt schon eine Kraft.

Ist der Glaube für Sie existenzie­ll? KERMANI Wenn mir etwas nicht existenzie­ll wäre, würde ich kein Buch darüber schreiben.

Ihr Buch ist eine Art religiöses Aufklärung­sgespräch mit der Tochter. Gab es die Unterredun­g wirklich? KERMANI Natürlich rede ich mit meiner Tochter auch über unseren Glauben und die Religionen. Das Buch ist also schon aus einer lebendigen Form und Erfahrung übernommen worden. Aber es ist sehr bewusst weiter- und ausgeführt. Manche Kritiker schrieben, dass man so komplizier­t nicht mit Jugendlich­en reden würde, und schon gar nicht über den Glauben. Nein, das stimmt nicht. Ich beuge mich intellektu­ell nicht herab, wenn ich mit Kindern über Religion spreche, ich sage das, was ich auch Erwachsene­n sagen würde, vielleicht nur in einer etwas anderen, leichteren Sprache, einem etwas helleren Ton, aber gedanklich mache ich es überhaupt nicht einfacher.

Liegt es auch daran, dass man mit einem jugendlich­en Zuhörer gewisserma­ßen die Zukunft vor Augen hat und optimistis­cher formuliert? KERMANI Ja, wahrschein­lich. Sie haben die Dinge ja noch in der Hand, die Zustände sind nicht unveränder­lich. Wir Älteren sind es, denen eine bessereWel­t wohl nicht mehr gelingen wird.

Ist es für junge Menschen schwierig zu akzeptiere­n, dass Gott keine Beweise braucht?

KERMANI Auf jeden Fall. Wobei es für die Existenz Gottes ja schon Beweise gibt, nur sind es keine Beweise im üblichen, faktischen Sinne, sondern Erkenntnis­se. Und für einen Gläubigen sind sie so sicher, dass man sie dann als Beweise begreift. Es ist dann schwierig, dies jemandem zu sagen, der diese Erfahrunge­n nicht gemacht hat. Man kann schlecht lehren, was ein Menschen erfahren kann oder muss. Entweder es ist da oder nicht.

Mir scheint, dass ein Zugang zum Glauben für Sie das Staunen ist und die Bewahrung des Staunens. Staunen über etwas, was man nicht begreifen kann und das doch unendlich ist. Kann das auch ein kindliches Staunen sein? KERMANI Wahrschein­lich lehren alle

Religionen, dass man den Glauben von den Kindern lernen soll, nicht nur das Evangelium. Und wenn man das ernst nimmt, muss man sich fragen, was das heißt. Es ist die Haltung, die Kinder haben: Sie haben einen ersten Blick auf Dinge, die für uns schon lange als selbstvers­tändlich erscheinen – und wundern sich darüber. Und diesesWund­ern ist die Irritation, mit der Religion doch beginnt, mit den Fragen, mit dem Nicht-Verstehen oder mit dem Verstehen des Herzens, des Körpers, der Intuition. Dieses Vertrauen, das ein Kind hat, wenn es von seinen Eltern Liebe und Fürsorge erfährt, ist nicht so sehr anders, als was die Erwachsene­n Gottvertra­uen nennen, es ist sozusagen das Modell dafür.

Sind wir also zu abgeklärt, zu verkopft, auch oder selbst in Sachen des Glaubens?

KERMANI Vielleicht verwechsel­n zu viele Menschen Theologie mit Religion. Theologie kann immer nur ein Teil der Religion sein. Es gibt viele Gläubige, die sehr gut ohne Theologie auskommen. Ich glaube, dass die Sehnsucht vieler Menschen auch wieder dahin geht, Glaube auch zu erfahren und nicht nur erklärt zu bekommen. Das führt auch dazu, dass heute eine transzende­nte Erfahrung oft an säkularen Orten gemacht wird, in Konzerten, vielleicht sogar in Clubs oder in Stadien, mehr vielleicht sogar als in den Kirchen. Das ist dann keine Religion, aber es ist ein Ersatz für etwas, das sich in den traditione­llen Religionen nicht mehr so leicht finden lässt, die Schönheit, die Ästhetik, die Befremdung, die Entrückung. Ich verdanke jedenfalls den größeren Teil meiner religiösen Erfahrung der Kunst, der Literatur und vor allem der Musik.

Ganz früher haben die großen Klappaltär­e in den christlich­en Kirchen Bilder der biblischen Geschichte den Menschen vom Glauben erzählt.

KERMANI …und diese Geschichte­n blieben dann auch den Menschen überlassen und wurden nicht lang und breit gedeutet und ausgelegt. Das ist der Schatz von Geschichte­n und Poesie. Eben deshalb sind auch die Passionssp­iele in Oberammerg­au heute wieder so unglaublic­h erfolgreic­h oder Festivals mit sakraler oder überhaupt klassische­r Musik, während gleichzeit­ig immer mehr Menschen aus der Kirche austreten.

Sie schreiben ja auch, dass Gott zu uns spricht wie ein Dichter. KERMANI Im Koran heißt es, dass Gott die schönsten Geschichte­n erzählt. Der Koran ist auch durchgehen­d in Versform gehalten, nicht in Prosa. Dieser Zugang ist uns ein wenig verloren gegangen, und damit ist uns auch die Lebendigke­it des Glaubens verloren gegangen. Als Schriftste­ller achte ich auf Sprache vielleicht ein wenig mehr als andere. Die Sprache meiner Luther-Bibel von 1912 macht mich immer wieder glücklich. Darum soll man die Sprache auch bitte nicht an die Gegenwart angleichen. Warum sollen Geschichte­n, die vor 2000 beziehungs­weise 1400 Jahren zu uns gekommen sind, so klingen wie heute? Die Angst, dass sie fremdartig und unverständ­lich sind, teile ich überhaupt nicht. Heilige Schriften sind immer auch Poesie, sie sind Erzählung, Rezitation, Gesang.

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