Rheinische Post Langenfeld

Ein Symptom – viele Ursachen

Müdigkeit ist eine der häufigsten Beschwerde­n, die beim Arztbesuch genannt werden. Was kann hinter dem Leistungsk­nick stecken, und wie kommt man dem Auslöser auf die Spur?

- VON TANJA WALTER

Wer ein unerträgli­ches Pochen im Zahninnere­n spürt, dem kann der Arzt in der Regel schnell helfen. Es ist ein typisches Symptom für eineWurzel­entzündung. Stark juckender Ausschlag mit wasserhalt­igen Bläschen ist ein klares Indiz für Windpocken. Oft lässt sich eine Krankheit über sogenannte Leitsympto­me identifizi­eren. Sie deuten wie ein Hinweissch­ild auf eine einzige oder eine überschaub­are Anzahl an Möglichkei­ten. Bei anhaltende­r Müdigkeit ist das Gegenteil der Fall.

„Beinahe jeden Tag habe ich mindestens einen Patienten, der wegen chronische­r Müdigkeit in die Praxis kommt“, sagt der Bedburger Allgemeinm­ediziner Jens Wasserberg. Denn Müdigkeit zählt zu den häufigsten beim Arzt genannten unspezifis­chen Symptomen. Das Hinweissch­ild zeigt in unzählige Richtungen – auf die Option Schilddrüs­enerkranku­ng ebenso wie auf Long-Covid, Depression oder einfach nur Eisenmange­l, um nur einige zu nennen. Was also tun? Wann ist Mattigkeit überhaupt ein Fall für den Arzt? Was kann dahinterst­ecken?

„Wer über vier bis sechs Wochen hinweg häufiger als dreimal in der Woche unter Müdigkeit leidet, sollte ärztlichen Rat einholen“, sagt HansGünter Weeß, Leiter des Schlafzent­rums am Pfalzklini­kum in Klingenmün­ster.Weitere Alarmsigna­le sind das Einschlafe­n bei täglichen Verrichtun­gen oder extreme Vergesslic­hkeit und Konzentrat­ionsproble­me. Sich nach kleinster körperlich­er Anstrengun­g gleich ausgepower­t und schlapp zu fühlen, sei ebenfalls ein Hinweis, und auch, wenn der normale Tagesablau­f nicht mehr funktionie­re, sagt Allgemeinm­ediziner Wasserberg. Vor allem dann, wenn gängige Hausrezept­e wie Bewegung an der frischen Luft, ausreichen­d Schlaf und leichte Mahlzeiten am Abend keine Linderung bringen.

Hausarzt und Schlafmedi­ziner sind oft die ersten Anlaufstel­len, bei denen Betroffene Rat einholen. Das macht Sinn: Hausärzte kennen ihre Patienten meist über einen längeren Zeitraum hinweg. Ihnen ist bekannt, welche Medikament­e eingenomme­n werden – denn auch Arzneimitt­el kommen als Ursache von Müdigkeit infrage. Bei der Eingangsdi­agnostik fragt Wasserberg nach den Lebensumst­änden, Schichtarb­eit, möglichen Problemen am Arbeitspla­tz und der fami

liären Situation. Das erleichter­t die Spurensuch­e bezüglich psychische­r Ursachen wie Stress, Depression­en oder Burn-out.

Als Psychother­apeut und Schlafmedi­ziner hat auchWeeß diese Fragestell­ung im Blick – daneben jedoch auch häufige schlafbedi­ngte Ursachen. Schlafmang­el, Ein- und Durchschla­fprobleme oder nächtliche Atemausset­zer, auch Schlaf-Apnoe genannt, zählen dazu. „Fühlen Sie sich schon direkt nach dem Aufstehen extrem müde und unausgeruh­t oder fallen beispielsw­eise im Straßenver­kehr oder beim Verrichten monotoner Tätigkeite­n in Sekundensc­hlaf, kann das auf solche Auslöser hinweisen“, sagt Weeß.

Stress ist ein bedeutende­r Verursache­r des chronische­n Erschöpfun­gssyndroms, auch Fatigue-Syndrom genannt. Andauernd unter Strom zu stehen beanspruch­t besonders die Nebenniere­n. Diese schütten in brenzligen Situatione­n Stresshorm­one aus, damit wir in Alarmberei­tschaft versetzt die Lage gut bewältigen können. Ist man jedoch in Daueralarm, macht das nicht nur die Nebenniere­n müde. Daneben berichten viele Long-Covid-Patienten über eine chronische Fatigue. Möglicherw­eise ist die bleibende Müdigkeit also auch die Folge einer vorangegan­genen Corona-Erkrankung.

Manchmal führt die Suche nach den Ursachen jedoch von solchen eher naheliegen­den Auslösern weg. Denn Müdigkeit gilt auch als erstes Signal dafür, dass körperlich etwas nicht stimmt. Vor allem, wenn sich weitere Symptome wie Schwindel oder Schmerzen hinzugesel­len. Sie können auf Erkrankung­en wie Herzleiden, niedrigen Blutdruck oder Bluthochdr­uck hinweisen. Durch ergänzende Fragen kann der Arzt die Suche weiter eingrenzen: Leiden die Betroffene­n neben Müdigkeit auch unter angeschwol­lenen Füßen und Beinen, Atemnot bei Anstrengun­g und in Ruhe oder nächtliche­m Husten, asthmatisc­hen Beschwerde­n oder Ängsten, kommt eine Herzinsuff­izienz infrage. Mattigkeit in Verbindung mit Schwächean­fällen oder sogar kurzer Ohnmacht kann auf Herzrhythm­usstörunge­n hindeuten.

„Darum steht die körperlich­e Untersuchu­ng beim Hausarzt inklusive Puls- und Blutdruckm­essung meist am Anfang der Spurensuch­e. Das ergänzen Hausärzte bei entspreche­ndemVerdac­ht häufig durch ein EKG“, sagt Wasserberg.

Manchmal schafft das Abhören der Atmung mit dem Stethoskop weitere Klarheit und bringt Hinweise auf das Vorliegen einer Lungenerkr­ankung. Auch diese macht müde, weil sie wie beispielsw­eise beim Lungenhoch­druck zu verengten Gefäßen in der Lunge führen kann. Dadurch gerät die rechte Herzhälfte unter Druck. Der Herzschlag beschleuni­gt sich im weiteren Verlauf, und es kann bei körperlich­er Belastung zu Atemnot kommen. Betroffene fühlen sich schneller ermüdet. Auch Menschen mit COPD oder Lungenfunk­tionsstöru­ngen wie chronische­r Bronchitis berichten oft über Müdigkeits­beschwerde­n.

„Ergänzend zu diesen Untersuchu­ngen kann die Bestimmung von Blutwerten weiterhelf­en“, sagt Weeß. Denn diese gibt beispielsw­eise Aufschluss über Nährstoffd­efizite wie einen Eisenmange­l. Dieser kann nicht nur Müdigkeit, sondern auch Schwindel, Herzrhythm­usstörunge­n, Haarausfal­l oder

Nervosität hervorrufe­n. Im Blut erkennbare­r Vitamin B12- und Folsäure-Mangel steht manchmal in Verbindung mit Erkrankung­en des Magen- und Darmtrakte­s oder Autoimmunk­rankheiten wie Morbus Crohn. Die Betroffene­n fühlen sich ebenfalls vermehrt schlapp und leistungss­chwach.

Über das Blut lassen sich daneben Hormon- und Stoffwechs­elstörunge­n oder Entzündung­en als Auslöser erkennen. Aufschluss geben dabei der sogenannte CPR-Wert (C-reaktives Protein) sowie der Interleuki­n-6-Wert. Das Problem allerdings: Diese Werte zeigen lediglich dasVorlieg­en einer Entzündung an, nicht aber den Ort, an dem sie abläuft. Der Arzt muss anschließe­nd also weitersuch­en.

Stille Entzündung­en (silent inflammati­on) machen müde, weil sie im Körper eine Art Daueralarm auslösen. Der Organismus fährt in Folge dessen die Immunabweh­r hoch, um die ihm durch die Entzündung signalisie­rten Eindringli­nge zu bekämpfen. Das braucht unglaublic­h viel Energie und macht müde.

Auch rheumatisc­h veränderte Gelenke oder eine Schilddrüs­enerkranku­ng lösen chronische Entzündung­en und darum Müdigkeit als Symptom aus. Was bei Schilddrüs­enerkranku­ngen zudem eine Rolle spielen kann: Die Schilddrüs­e ist eines der wichtigste­n Organe im Energiesto­ffwechsel. Bei einer Unterfunkt­ion arbeitet sie untertouri­g – was bei Betroffene­n zu Erschöpfun­g und Müdigkeit führen kann. Feststelle­n kann der Arzt das Vorliegen einer Schilddrüs­enkrankhei­t über die Bestimmung des sogenannte­n TSH-Werts im Blut. Dieser zeigt an, ob die Schilddrüs­e genug Hormone produziert.

Müdigkeit, die in Verbindung mit Antriebssc­hwäche und Appetitlos­igkeit auftritt, kann den Verdacht auf eine Lebererkra­nkung oder -infektion aufwerfen.

Nicht zuletzt kann auch falsche Ernährung und mangelnde Flüssigkei­tsaufnahme energielos und müde machen. Trinken wir zu wenig, dickt das Blut ein, befördert weniger Sauerstoff zum Gehirn und fördert die Sehnsucht nach einem Nickerchen. Das Gehirn schaltet hingegen nicht auf Sparflamme, wenn man 1,5 bis 2 Liter am Tag trinkt.Wer im ernährungs­bedingten Tief hängt, kann sich mit einer Banane über den Berg helfen. Die gelben Früchte sind eine schnelle Energieque­lle, ebenso wie proteinrei­che Nüsse und Magerquark.

Möglicherw­eise ist bleibende Müdigkeit auch Folge einer Corona-Erkrankung

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FOTO: THOMAS TRUTSCHEL/DPA Bei anhaltende­r Müdigkeit kommen auch Krankheite­n als Ursache infrage.

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