Beckers inspirierendes Comeback
Nur einen Monat, nachdem der frühere Tennisstar aus dem Gefängnis entlassen wurde, ist er zurück als TV-Experte – und in der Form seines Lebens. Ein Lehrstück über den Umgang mit Niederlagen.
Während die Besten ihrer Sportart in Melbourne um den ersten großen Titel des Jahres spielen, geht es für die Millionen, die ihnen dabei zusehen, vordergründig umVolleys,Winkelspiel und Beinarbeit. So redlich sich die Experten bemühen, das alles zu erklären – das Entscheidende bleibt gleichsam unsichtbar und unerklärlich. Die Einzelsportart Tennis lässt sich vielleicht am ehesten als psychisches Armdrücken beschreiben. Das lässt sich schwer erklären, erschließt sich aber jedem, der einmal ein Match bestritten hat – ganz egal auf welchem Niveau. Wie einsam ein ausverkaufter Centre Court sein kann, können aber wohl nur Menschen nachvollziehen, die dort einmal vor den Augen der Welt mit den eigenen Unsicherheiten gekämpft haben. Sich selbst als ewigen Endgegner zu bezwingen und auf diesem Level sogar Titel zu gewinnen, das gelingt nur denen, die am besten darin sind, Misserfolge wegzustecken.
Vielleicht ist es gerade diese Fähigkeit, die Boris Becker zum derzeit besten TV-Experten im Tennis macht. Einer, der die Kämpfe eines häufig viel zu öffentlichen Privatlebens auf großer Bühne ausgetragen hat. Jemand, der weiß, wie sich überlebensgroße Erfolge anfühlen und welches Preisschild an ihnen hängt. Der Untiefen des Lebens ausgelotet hat, die viele höchstens erahnen können. Der ein ganzes Land inspiriert und den die TV-Nation verspottet hat, der keine 70 Kilometer entfernt von seinem epischen Triumph in Wimbledon im Gefängnis gesessen hat. Einer, der so häufig Schiffbruch erlitten hat, kann vielleicht besser als alle anderen vermittteln, dass auch im Tennis die am weitesten kommen, die es schaffen, wieder aufzustehen.
Becker hätte keine insgesamt zweieinhalbjährige Haftstrafe gebraucht, um zu wissen, dass dass Leben den härtesten Rückschlag hat. Gebrochen hat ihn auch diese Episode aber nicht. Einen Monat nach seiner Entlassung kommentiert er für Eurosport die Australian Open mit einer geradezu verblüffenden Leichtigkeit. Keiner redet so unaufgeregt, klug und trotzdem leidenschaftlich über Tennis. Dass
Becker sich nach dem vermeintlichen Tiefpunkt seines Lebens nicht der Öffentlichkeit entzieht, sondern den direkten Weg zurück ins Rampenlicht sucht, um über das Turnier am anderen Ende der Welt zu berichten, war mutig, aber nicht übermütig. Scheinbar mühelos gelingt ihm der Übergang zurück ins Leben. Becker war bereits der beste Tenniserklärer im deutschen Fernsehen, in diesen Tagen übertrifft er sich dabei selbst. Mit Rhythmus und Taktgefühl hält er das richtige Maß aus Leidenschaft und Zurückhaltung, Einordnung und Unterhaltung. Sogar seine selbstironischen Momente wirken nicht bemüht, die Moderation durch schwierige Themenfelder voller Fallstricke wie etwa Novak Djokovics grundsätzlich angespanntes Verhältnis zu Spritzen jeder Art, gelingt ihm mit beeindruckender Leichtfüßigkeit.
Wer Becker in diesen Tagen zuhört, wird Zeuge des bislang größten TV- und irgendwie ja auch Sport-Comebacks des jungen Jahres. Dabei widerlegt der Ex-Profi alle öffentlichen Zuschreibungen – er ist nicht der 17-jährige Leimener, nicht der Boulevard-Liebling mit exaltiertem Liebesleben und keinesfalls der Trottel, zu dem ihn Oliver Pocher einst vor den Augen der Öffentlichkeit machen wollte, wenngleich das alles Teil seiner filmreifen Biografie ist. Becker weiß wie wenig andere mit Niederlagen umzugehen und kreiert damit gerade Momente von echter Größe.