Die Klientel der FDP schwindet
In der Ampelkoalition befinden sich die Liberalen mal wieder im Überlebenskampf. Umfragen sagen ihnen eine schwere Zukunft voraus. Dabei verfügt die Partei über einen politischen Schatz wie kaum eine andere.
Die Zahlen sind für die Liberalen alarmierend. Das stolze Ergebnis der FDP von 11,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2021 hat sich heute in Umfragen mehr als halbiert. Nach aktuellen Zahlen des Berliner Meinungsforschungsinstituts Forsa würden derzeit knapp 60 Prozent der liberalen Wählerinnen und Wähler von damals der Partei den Rücken kehren. Was ist los mit der FDP, die seit ihrer Gründung nach dem Krieg die Politik der Bundesrepublik so entscheidend mitgeprägt hat? Der ständige Kampf mit der Fünf-ProzentHürde hat die Partei zwar abgehärtet. Zugleich ist es jedoch merkwürdig, dass die Liberalen, die wie keine andere Partei die Freiheits- und Grundrechte unsererVerfassung vertreten, einen so kleinen Stammwählerbestand haben. Fehlt es womöglich in der Bundesrepublik an Menschen, die eins zu eins die Werte des Grundgesetzes zu ihrer Lebensmaxime erheben?
Tatsächlich gewinnen die Liberalen einen fetten Wähleranteil oft erst dann, wenn sie zur Funktionspartei werden. In Zeiten von schwarz-gelben Koalitionen treiben sie die Union zu ehrgeizigeren Wirtschaftszielen und bremsen ihren Konservatismus, in eher linksorientierten Regierungen wahren sie finanzpolitische Solidität und bringen Bürger- und Freiheitsrechte wie zuletzt in der Corona-Pandemie nach vorne. Eine liberale Politik aus einem Guss, wenn auch mit Abstrichen, ist dagegen oft wenig zu spüren. Und selbst wenn, reicht dafür zumindest derzeit die Programmatik nicht aus. „Die FDP ist zu eng aufgestellt. In den Bereichen Bildung und Bürgerrechte fehlen ihr glaubwürdige Konzepte und deren Vertreter“, sagt beispielsweise der Trierer Politikprofessor Markus Linden.
Zudem wird die FDP als nicht sehr durchsetzungsstark wahrgenommen. „DieWählerschaft aus der Mittelschicht ist enttäuscht darüber, dass die Liberalen nichts Entscheidendes in der Wirtschafts- und Finanzpolitik umsetzen können. Dagegen schaffen es Grüne und SPD, zentrale Großprojekte in Gang zu setzen“, ist Constantin Wurthmann überzeugt, der am Gesis-Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim arbeitet.
Ihre Stärke beziehen die Liberalen vor allem aus ihren klaren Grundsätzen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Konsequent lehnen die Gelben alle Steuerpläne der Ampelpartner SPD und Grüne ab. Sie haben sich dem Auto verschrieben, sagen Nein zu einem generellen Tempolimit auf Autobahnen und kämpfen für den Verbrennermotor und synthetische Kraftstoffe. Doch das reicht nicht aus, enttäuschte Mittelständler und auch ärmere Bevölkerungsschichten an die Liberalen zu binden. „Viele FDP-Wähler wechseln zum wirtschaftsliberalen Original, zur Union“, meint der Trierer Politikwissenschaftler Linden. Denn vor allem die CDU kann diese Themen nun in Reinform vertreten, während die FDP in der linksliberalen Ampelkoalition Kompromisse eingehen und sich mit der Rolle „einer Bremserpartei“(Linden) begnügen muss.
Ihre offene Haltung bei der Verantwortungsgemeinschaft als Ergänzung zur Ehe oder bei der Liberalisierung der Geschlechtsanpassung bei Transpersonen zahlt fast nur auf das Konto der Grünen ein. Auch die moderne Haltung der FDP in der Migrationspolitik verbunden mit qualitativen Anforderungen an die Zuwanderer bringt ihr kaum Stimmen ein. Und in der Forschungs- und Bildungspolitik verengen sich die Liberalen auf generelle Technologieoffenheit und den unbedingten Einsatz populärer Errungenschaften wie der Künstlichen Intelligenz. Ähnlich eng ist die FDP personell aufgestellt. Außer Parteichef Christian Lindner in der Wirtschaftsund Finanzpolitik und Verkehrsminister Volker Wissing als Auto-Lobbyist runden kaum starke Persönlichkeiten das Erscheinungsbild der Liberalen ab.
Justizminister Marco Buschmann verkörpert zwar liberale Grundsätze in der Pandemiepolitik und in Gender-Fragen. Aber er dringt kaum durch. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger findet so gut wie nirgends statt. Und eine Person, die wie die frühere Spitzenliberale Sabine Leutheusser-Schnarrenberger glaubwürdig für die Begrenzung der staatlichen Gewalt in Polizeifragen steht, gibt es nicht. Einzig in der Außenund Verteidigungspolitik hat die FDP mit Alexander Graf Lambsdorff und Marie-Agnes Strack-Zimmermann zumindest überall gehörte Personen, die sich für eine anti-totalitäre Grundhaltung gegen die Diktaturen in Moskau, Peking oder Teheran einsetzen.
Schade. Denn die Partei könnte den Schatz, den sie mit ihren liberalen Haltungen wie Rechtsstaatlichkeit, Freiheit des Einzelnen, Leistungsprinzip oder Chancengleichheit besitzt, durchaus heben. In Sachen Bildung hatte die FDP als Erste die Idee, Eliteschulen in sozial schwierigen Stadtteilen zu bauen, auch wenn bislang wenig davon zu sehen ist. Der Stolz, ohne staatliche Bevormundung den Aufstieg zu schaffen und mit Hilfe von Bildung die Teilhabe zu erhöhen, ist Markenkern der Liberalen.„Die FDP braucht mehr liberales Pathos“, findet der Parteiexperte Linden.
Es sind also vielfach die nicht erledigten Hausarbeiten, die die FDP zurückwerfen. Denn es gibt für sie durchaus ein ausreichendesWählerpotenzial. „Für ein liberales Konzept der Lebenschancen ist ein Wählermarkt von zehn Prozent und mehr durchaus vorhanden“, meint Linden. Das würde reichen, um noch eine zweite Legislaturperiode mit der Ampelkoalition bis 2029 dranzuhängen.
„Viele FDP-Wähler wechseln zum wirtschaftsliberalen Original, der Union“Markus Linden Politikwissenschaftler