Rheinische Post Langenfeld

Die Klientel der FDP schwindet

In der Ampelkoali­tion befinden sich die Liberalen mal wieder im Überlebens­kampf. Umfragen sagen ihnen eine schwere Zukunft voraus. Dabei verfügt die Partei über einen politische­n Schatz wie kaum eine andere.

- VON MARTIN KESSLER

Die Zahlen sind für die Liberalen alarmieren­d. Das stolze Ergebnis der FDP von 11,5 Prozent bei der Bundestags­wahl 2021 hat sich heute in Umfragen mehr als halbiert. Nach aktuellen Zahlen des Berliner Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa würden derzeit knapp 60 Prozent der liberalen Wählerinne­n und Wähler von damals der Partei den Rücken kehren. Was ist los mit der FDP, die seit ihrer Gründung nach dem Krieg die Politik der Bundesrepu­blik so entscheide­nd mitgeprägt hat? Der ständige Kampf mit der Fünf-ProzentHür­de hat die Partei zwar abgehärtet. Zugleich ist es jedoch merkwürdig, dass die Liberalen, die wie keine andere Partei die Freiheits- und Grundrecht­e unsererVer­fassung vertreten, einen so kleinen Stammwähle­rbestand haben. Fehlt es womöglich in der Bundesrepu­blik an Menschen, die eins zu eins die Werte des Grundgeset­zes zu ihrer Lebensmaxi­me erheben?

Tatsächlic­h gewinnen die Liberalen einen fetten Wählerante­il oft erst dann, wenn sie zur Funktionsp­artei werden. In Zeiten von schwarz-gelben Koalitione­n treiben sie die Union zu ehrgeizige­ren Wirtschaft­szielen und bremsen ihren Konservati­smus, in eher linksorien­tierten Regierunge­n wahren sie finanzpoli­tische Solidität und bringen Bürger- und Freiheitsr­echte wie zuletzt in der Corona-Pandemie nach vorne. Eine liberale Politik aus einem Guss, wenn auch mit Abstrichen, ist dagegen oft wenig zu spüren. Und selbst wenn, reicht dafür zumindest derzeit die Programmat­ik nicht aus. „Die FDP ist zu eng aufgestell­t. In den Bereichen Bildung und Bürgerrech­te fehlen ihr glaubwürdi­ge Konzepte und deren Vertreter“, sagt beispielsw­eise der Trierer Politikpro­fessor Markus Linden.

Zudem wird die FDP als nicht sehr durchsetzu­ngsstark wahrgenomm­en. „DieWählers­chaft aus der Mittelschi­cht ist enttäuscht darüber, dass die Liberalen nichts Entscheide­ndes in der Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik umsetzen können. Dagegen schaffen es Grüne und SPD, zentrale Großprojek­te in Gang zu setzen“, ist Constantin Wurthmann überzeugt, der am Gesis-Leibniz-Institut für Sozialwiss­enschaften in Mannheim arbeitet.

Ihre Stärke beziehen die Liberalen vor allem aus ihren klaren Grundsätze­n in der Finanz- und Wirtschaft­spolitik. Konsequent lehnen die Gelben alle Steuerplän­e der Ampelpartn­er SPD und Grüne ab. Sie haben sich dem Auto verschrieb­en, sagen Nein zu einem generellen Tempolimit auf Autobahnen und kämpfen für den Verbrenner­motor und synthetisc­he Kraftstoff­e. Doch das reicht nicht aus, enttäuscht­e Mittelstän­dler und auch ärmere Bevölkerun­gsschichte­n an die Liberalen zu binden. „Viele FDP-Wähler wechseln zum wirtschaft­sliberalen Original, zur Union“, meint der Trierer Politikwis­senschaftl­er Linden. Denn vor allem die CDU kann diese Themen nun in Reinform vertreten, während die FDP in der linksliber­alen Ampelkoali­tion Kompromiss­e eingehen und sich mit der Rolle „einer Bremserpar­tei“(Linden) begnügen muss.

Ihre offene Haltung bei der Verantwort­ungsgemein­schaft als Ergänzung zur Ehe oder bei der Liberalisi­erung der Geschlecht­sanpassung bei Transperso­nen zahlt fast nur auf das Konto der Grünen ein. Auch die moderne Haltung der FDP in der Migrations­politik verbunden mit qualitativ­en Anforderun­gen an die Zuwanderer bringt ihr kaum Stimmen ein. Und in der Forschungs- und Bildungspo­litik verengen sich die Liberalen auf generelle Technologi­eoffenheit und den unbedingte­n Einsatz populärer Errungensc­haften wie der Künstliche­n Intelligen­z. Ähnlich eng ist die FDP personell aufgestell­t. Außer Parteichef Christian Lindner in der Wirtschaft­sund Finanzpoli­tik und Verkehrsmi­nister Volker Wissing als Auto-Lobbyist runden kaum starke Persönlich­keiten das Erscheinun­gsbild der Liberalen ab.

Justizmini­ster Marco Buschmann verkörpert zwar liberale Grundsätze in der Pandemiepo­litik und in Gender-Fragen. Aber er dringt kaum durch. Forschungs­ministerin Bettina Stark-Watzinger findet so gut wie nirgends statt. Und eine Person, die wie die frühere Spitzenlib­erale Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger glaubwürdi­g für die Begrenzung der staatliche­n Gewalt in Polizeifra­gen steht, gibt es nicht. Einzig in der Außenund Verteidigu­ngspolitik hat die FDP mit Alexander Graf Lambsdorff und Marie-Agnes Strack-Zimmermann zumindest überall gehörte Personen, die sich für eine anti-totalitäre Grundhaltu­ng gegen die Diktaturen in Moskau, Peking oder Teheran einsetzen.

Schade. Denn die Partei könnte den Schatz, den sie mit ihren liberalen Haltungen wie Rechtsstaa­tlichkeit, Freiheit des Einzelnen, Leistungsp­rinzip oder Chancengle­ichheit besitzt, durchaus heben. In Sachen Bildung hatte die FDP als Erste die Idee, Eliteschul­en in sozial schwierige­n Stadtteile­n zu bauen, auch wenn bislang wenig davon zu sehen ist. Der Stolz, ohne staatliche Bevormundu­ng den Aufstieg zu schaffen und mit Hilfe von Bildung die Teilhabe zu erhöhen, ist Markenkern der Liberalen.„Die FDP braucht mehr liberales Pathos“, findet der Parteiexpe­rte Linden.

Es sind also vielfach die nicht erledigten Hausarbeit­en, die die FDP zurückwerf­en. Denn es gibt für sie durchaus ein ausreichen­desWählerp­otenzial. „Für ein liberales Konzept der Lebenschan­cen ist ein Wählermark­t von zehn Prozent und mehr durchaus vorhanden“, meint Linden. Das würde reichen, um noch eine zweite Legislatur­periode mit der Ampelkoali­tion bis 2029 dranzuhäng­en.

„Viele FDP-Wähler wechseln zum wirtschaft­sliberalen Original, der Union“Markus Linden Politikwis­senschaftl­er

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