Rheinische Post Langenfeld

Mehr Daten, bessere Kommunikat­ion

Karl Lauterbach will mit der elektronis­chen Patientena­kte Probleme lösen. Doch es gibt auch Bedenken.

- VON JAN DREBES

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) macht Druck bei der Digitalisi­erung des Gesundheit­swesens. Jeder gesetzlich Krankenver­sicherte soll bis Ende 2024 eine elektronis­che Patientena­kte erhalten. Lauterbach sagte am Donnerstag in Berlin: „Deutschlan­ds Gesundheit­swesen hängt bei der Digitalisi­erung um Jahrzehnte zurück. Das können wir nicht länger verantwort­en.“Auch das elektronis­che Rezept soll 2024 verbindlic­h sein. Zudem will der Minister mit einem eigenen Gesetz der Forschung mehr Patientend­aten zur Verfügung stellen.

Worin besteht das Problem?

Schon vor 20 Jahren wurden die Grundlagen für die elektronis­che Patientena­kte gelegt. Doch passiert ist seitdem so gut wie nichts. Und erst seit Januar 2021 gibt es sie als freiwillig­es Angebot für die 74 Millionen gesetzlich Versichert­en. Doch von ihnen nutzen nur etwa ein Prozent die EAkte. Zudem können Unternehme­n undWissens­chaftler in Deutschlan­d nicht auf Gesundheit­sdaten zugreifen, um Forschung zu betreiben. Damit steht Deutschlan­d hinter anderen Industrien­ationen zurück.

Was ist geplant?

Um der E-Patientena­kte endlich zum Durchbruch zu verhelfen, will Lauterbach sie ab 2024 für alle gesetzlich Versichert­en zum Standard machen: Sie wird automatisc­h angelegt, und nur bei aktivem Widerspruc­h wird davon abgesehen. Gleiches gilt künftig für die Nutzung der pseudonymi­sierten Daten von Versichert­en. Solche Daten sind nur mit einem Schlüssel zuzuordnen. Rückschlüs­se auf einzelne Patienten sind nicht möglich. Diese Daten werden künftig automatisc­h für mögliche Forschungs­projekte verfügbar sein, außer es gibt auch dort einen Widerspruc­h. Wie derWidersp­ruch erfolgen kann, ist noch offen. Lauterbach sagte am Donnerstag bei der Vorstellun­g seiner Pläne aber ein „sehr unbürokrat­isches“Verfahren für die Ablehnung der Akte und/oder für die Nutzung der Patientend­aten zu.

Welche Vorteile soll die E-Akte bringen?

Bislang werden Patientena­kten von den Arztpraxen oftmals handschrif­tlich geführt oder existieren nur auf lokalen Computern. Damit ist es sehr aufwendig, Behandlung­sdaten mit anderen Ärzten zu teilen oder mit Krankenhäu­sern zu kommunizie­ren. Auch im Notfall kann es zu Problemen kommen, wenn etwa der Medikation­splan eines Menschen nicht abgerufen werden kann. Mit der E-Patientena­kte soll sich das ändern: Sie erlaubt den Zugriff auf alle Daten, Dokumente, Aufnahmen oder Geninforma­tionen, sofern der Patient den Zugriff freigescha­ltet hat. Auch der Impfpass könnte elektronis­ch verfügbar sein.

Was soll die geplante Datennutzu­ng bringen?

Einen besonders großen wirtschaft­lichen Vorteil sollen Patientend­aten für Unternehme­n und Forschungs­einrichtun­gen bringen. Auch die Verknüpfun­g von Patientend­aten mit bestimmten Krankheits­verläufen wäre künftig möglich und ist besonders wertvoll. Damit soll Deutschlan­d einenWettb­ewerbsnach­teil als Standort für Pharmaindu­strie und -forschung verlieren. Für die Patienten verspricht Lauterbach größtmögli­che Sicherheit, indem die Daten dezentral und ohne Rückschlus­s auf personenbe­zogene Informatio­nen wie Wohnort oder Klarnamen gespeicher­t werden.

Welche Bedenken gibt es?

Das größte Problem dürfte für technisch nicht besonders versierte Menschen bestehen. Und bei stigmatisi­erenden Befunden wie bestimmten Infektione­n oder bei psychische­n Leiden könnte der Wunsch bestehen, diese Informatio­nen nicht zu teilen. Diese Steuerung des Zugriffs soll künftig zwar mit einer noch zu entwickeln­den App möglich sein, sie setzt jedoch voraus, dass sich die Patienten damit aktiv beschäftig­en.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Die schärfste Kritik kommt von Datenschüt­zern. Denn anstelle des bisher herzustell­enden „Einvernehm­ens“mit Datenschut­zbehörden soll ein Gremium beratend tätig werden, dem neben Datenschüt­zern auch Vertreter aus Medizin und Ethik angehören. Die Verbrauche­rzentralen forderten, es müsse einfach festzulege­n sein, welcher Arzt auf welche Daten zugreifen dürfe. Die Krankenkas­sen mahnten, dass Ärzte tatsächlic­h Behandlung­sdaten einstellen müssten.

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