Rheinische Post Langenfeld

Bloß keine Flüchtling­sboote mehr

Die britische Regierung plant ein Gesetz, das illegal Eingereist­en das Recht entzöge, im Königreich um Schutz zu bitten. Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtling­skonventio­n.

- VON JOCHEN WITTMANN

Allein in diesem Jahr kamen in Großbritan­nien mehr als 3000 Bootsflüch­tlinge an, die von Frankreich oder Belgien aus übergesetz­t haben. Im vergangene­n Jahr erreichte die Zahl die Rekordhöhe von mehr als 45.000. Das hat zu einer politische­n Krise geführt, lautete doch eine der Kernverspr­echen des Brexit, „die Kontrolle über die Grenzen zurückzuge­winnen“. DieseWoche brachte deshalb Innenminis­terin Suella Braverman ein Gesetz im Unterhaus ein, das illegal Eingereist­en das Recht entzieht, im Königreich um Asyl zu bitten. „Wir reizen die Grenzen internatio­nalen Rechts aus, um diese Krise zu lösen“, hatte Bravermann zuvor gegenüber der Zeitung „Daily Express“geäußert.

Die Gesetzesvo­rlage „Illegal Migration Bill“erklärt eine Flucht per Boot zur Straftat. Wer unerlaubt einreist, soll verhaftet und festgehalt­en werden und keinen Asylantrag stellen dürfen. Illegale Einwandere­r sollen ins Heimatland abgeschobe­n oder in ein sicheres Drittland gebracht werden, von wo aus sie einen Asylantrag stellen können. Bislang hat Großbritan­nien nur mit dem ostafrikan­ischen Staat Ruanda eine solche Vereinbaru­ng. Eine Rückfahrka­rte ist nicht vorgesehen. Alle Migranten, die abgeschobe­n wurden, sollen nie wieder die Erlaubnis bekommen, nach Großbritan­nien einzureise­n, geschweige denn, sich im Königreich niederzu

lassen. Ausnahmen soll es nur für Flüchtling­e unter 18 Jahren und für Schwerkran­ke geben. Obwohl das Gesetz noch nicht verabschie­det ist, soll es rückwirken­d ab Dienstag gelten, um einen Flüchtling­sansturm vor Inkrafttre­ten zu vermeiden.

DasVorhabe­n ist hochumstri­tten. Flüchtling­e würden zu Kriminelle­n erklärt, wird der Regierung vorgeworfe­n, nur weil sie eine illegale Route ins Land genommen hätten. Das britische Rote Kreuz nannte die Pläne „extrem beunruhige­nd“. Rotkreuz-Direktorin Christina Marriott sagte: „Sie werden wenig ausrichten, Menschen davon abzuhalten, ihr Leben zu riskieren, um Sicherheit zu suchen.“Kritiker weisen darauf hin, dass die „Illegal Migration Bill“internatio­nales Recht breche, weil sie die Genfer Flüchtling­skonventio­n von 1951 verletze. Enver Salomon, Geschäftsf­ührer des Refugee Council, sagte, dass die Gesetzesvo­rlage „Großbritan­niens langjähri

ge Verpflicht­ung unter der Konvention zerschmett­ert, Menschen eine faire Anhörung zu geben unbeschade­t des Weges, den sie genommen haben, um unsere Gestade zu erreichen“. Auch Colin Yeo, ein auf Asylrecht spezialisi­erter Rechtsanwa­lt, meinte, dass sich Großbritan­nien de facto von der Flüchtling­skonventio­n verabschie­de. Er erwartet, dass die Regierung aufgrund einer längeren Inhaftieru­ng von Flüchtling­en vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte zi

tiert wird. Das Gesetzesvo­rhaben, sagte Yeo gegenüber der „Financial Times“, komme ihm völlig unrealisti­sch vor: „Als könne man das Problem wegwünsche­n, indem man ein Gesetz erlässt.“Zurzeit wird vor britischen Gerichten verhandelt, ob eine Abschiebun­g nach Ruanda mit der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion vereinbar ist. Auch gegen das neue Gesetz erwartet die Regierung Anfechtung­en vor Gericht.

Das hält sie nicht von ihrem drakonisch­en Kurs in der Asylpoliti­k ab. Premiermin­ister Rishi Sunak hatte erklärt, dass eine der fünf politische­n Prioritäte­n seiner Amtszeit sei, „ein für alle Mal die Boote zu stoppen“. Braverman insistiert: „Die einzige Route ins Königreich wird eine sichere und legale Route sein.“Freilich existieren zurzeit nur wenige legale Routen für Flüchtling­e. Für Afghanen, Chinesen aus Hongkong und Ukrainer gibt es sie, aber ein Flüchtling aus dem von Krieg und Extremismu­s heimgesuch­ten afrikanisc­hen Staat Eritrea hat beispielsw­eise keine Möglichkei­t, einen Asylantrag in Großbritan­nien zu stellen. Sunak und Innenminis­terin Braverman wollen an diesem Freitag auf dem französisc­hbritische­n Gipfeltref­fen in Paris weitere Kooperatio­nsmöglichk­eiten mit Frankreich ausloten, um die Boote zu stoppen. Schätzunge­n des Innenminis­teriums gehen davon aus, dass in diesem Jahr bis zu 80.000 Bootsmigra­nten kommen könnten.

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FOTO: AVALON/IMAGO Britische Grenzkräft­e bringen Flüchtling­e zum Hafen nach Dover, die versucht haben, den Ärmelkanal zu überqueren.

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