Brandopfer sehnen sich nach neuem Zuhause
Die achtköpfige Familie von Kamal al Bashar lebt nach dem Feuer in ihrer alten Wohnung aktuell in einer Notunterkunft. Unterstützung gibt es von der Initiative „Gräfrath hilft“, in der sich Bashar selbst engagiert.
SOLINGEN Als Besucher den Raum betreten, lugt der dreijährige Ayas neugierig unter der Decke des Metallbetts hervor. Diesen Platz hat er wohl nicht zufällig gewählt: Denn es ist kalt in derWohnung in der vierten Etage des kastenartigen Hauses im Stadtzentrum.
Die nüchterne Inneneinrichtung unterstreicht diesen Eindruck: Weiße Wände und Stahlspinde prägen das Bild. Es ist zweifellos kein Ort, um auf Dauer heimisch zu werden. Aber das ist auch nicht vorgesehen, bietet die städtische Notunterkunft Kamal Al Bashar und seiner insgesamt achtköpfigen Familie doch schließlich vor allem eines – ein dringend benötigtes Dach über den Köpfen.
Ihr letztes echtes Zuhause hatte sie am 27. Dezember verloren: Am späten Nachmittag brach imWohnhaus an der Sauerbreystraße aus noch immer unklaren Gründen ein Feuer aus.„Als wir beim Abendessen saßen, roch es verbrannt“, berichtet der Familienvater. So betrat er die Zimmer seiner Kinder auf dem Dachboden, in denen sich in diesem Moment niemand aufhielt – und sah sich einer Rauchwolke gegenüber.
Seine älteste Tochter Asya war zum Zeitpunkt des Feuers nicht daheim und erfuhr am Telefon vom Unglück. „Ich bin nach Hause gerannt und musste ständig weinen“, schildert die 19-Jährige die Angst um ihre Familie. Alle retteten sich letztlich unverletzt aus dem Haus. Bewohnen können sie es aber nicht mehr.
Beim ersten Besuch nach der Freigabe durch die Einsatzkräfte bot sich den Al Bashars ein kaum beschreibbares Bild der Zerstörung.
Der Dachboden war völlig ausgebrannt, der Hausrat zum großen Teil unbrauchbar, wie Kamal Al Bashar erklärt. Das Gleiche gilt für Ausweise und wichtige Unterlagen – ganz zu schweigen von Habseligkeiten mit ideellem Wert.
„Natürlich sind auch alle Sachen weg, die mir Freunde geschenkt haben, und die ich sehr gern mochte“, erzählt Asya. Und auch Schulbücher und andere Lernmaterialien für die jüngeren Kinder, die bislang zum Teil in Ohligs unterrichtet werden, gingen in Rauch auf.
Nachdem die Familie vorübergehend bei Kamals Bruder untergekommen war, nahm sich die
Wohnungsnotfallhilfe der Stadt der Al Bashars an: Kurz nach dem Brand habe man den Schlüssel für die provisorische Unterkunft in der Innenstadt bekommen, erzählt Kamal.
Hilfsangebote habe es anfangs von vielen Seiten gegeben, berichtet Georg Schubert von der Initiative „Gräfrath hilft“. Von der erhielt die Familie gespendete Kleidung und das Nötigste für den Haushalt.
Zu den Gräfrather Ehrenamtlern unterhält Kamal Al Bashar eine überaus enge wechselseitige Beziehung. Im Jahr 2017 war er mit seiner Familie aus dem Irak geflohen und hatte anfangs in einer Sammelunterkunft gelebt. „Schon damals hat uns der Verein sehr geholfen“, betont Kamal. Doch dabei blieb es nicht: Denn in der Folgezeit schloss sich der Familienvater seinerseits der Initiative aus Solingens nordöstlichem Stadtteil an, um Menschen in Notlagen – Geflüchteten wie Einheimischen – unter die Arme zu greifen. „Er fragt immer, was er tun kann“, sagt Georg Schubert.
Überhaupt bildeten einstmals Geflohene mittlerweile einen großen Teil des Teams. Kamal hole Spenden ab, helfe beim Sortieren und der Ausgabe von Kleidern, Küchenutensilien oder Spielzeug, und packe an vielen anderen Stellen mit an, sagt Georg Schubert.
„Ich wollte einfach helfen, egal wo und egal wem“, kommentiert der 38-Jährige selbst. Nach der Hochwasserkatastrophe im Juli des Jahres 2021 etwa beteiligte er sich an Aufräumarbeiten in den von der Flut verwüsteten Gebäuden in Rüden oder der Wipperaue. Nun ist es also wieder Kamal selbst, der auf Hilfe angewiesen ist.
„Als ich mich über den Brand an der Sauerbreystraße erkundigte, wusste ich zwar, dass er dort wohnt, aber nicht, dass er und seine Familie betroffen sind“, erklärt Georg Schubert. Die Wohnung im Ohligser Osten war die zweite feste Bleibe seit der Ankunft in Deutschland. Dort habe man sich wohlgefühlt, bekräftigt Asya.
„Was machen wir denn hier?“habe ihr dreijähriger Bruder Ayas kürzlich wehmütig im Angesicht des erzwungenen Umzugs gefragt. Nun hofft die Familie auf ein neues, dauerhaftes Zuhause.
Und die 19-jährige Asya, die demnächst eine Ausbildung in der Pflege beginnen will, muss nicht lange überlegen, was das für sie ausmacht: „Ein eigenes Zimmer, in dem jeder sein eigenes Leben führen kann.“