Rheinische Post Langenfeld

„Das Priestertu­m bedarf einer Reform“

Der ehemalige Weggefährt­e Joseph Ratzingers ist heute ein vehementer Erneuerer – und Befürworte­r der Priesterwe­ihe für Frauen.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Beinert, Sie haben jüngst in einem Essay der katholisch­en Kirche eine Art „Reformalle­rgie“bescheinig­t. Was sind nach Ihrer Einschätzu­ng die Hauptgründ­e dafür? BEINERT Zunächst: Das Zweite Vatikanisc­he Konzil Mitte der 1960erJahr­e hatte ja eine ganze Reihe von Reformford­erungen aufgestell­t, die aber dann die nachfolgen­den Päpste nicht umgesetzt haben und – vor allem Johannes Paul II. – ganz im Gegenteil sogar versucht haben, die Vorhaben des Konzils wieder zurückzudr­ehen. Das ist vor allem die überholte Sexualmora­l und die Theologie der Kirche, die man so nicht mehr halten kann und von der sich viele Katholiken auch gar nicht mehr berührt fühlen. Aber auch die Weigerung eines Weiheamtes für Frauen gehört auf jeden Fall dazu.

Welche Gründe lassen sich im Jahre 2024 noch dafür finden, die Frauenordi­nation zu verweigern? BEINERT Das möchte ich auch gerne wissen. Angeführt werden viele Gründe, und immer wieder beruft man sich dabei auf Papst Johannes Paul II. und sein Apostolisc­hes Schreiben von 1994, „Sacerdotal­is ordinatio“. Allerdings hat dieses Dokument nur die Geltungskr­aft einer Mitteilung. Und all die Argumente darin sind – um es vorsichtig zu sagen – schwach und stehen auf sehr tönernen Füßen. Von der großen Mehrzahl ernst zu nehmender Theologen werden sie darum auch gar nicht akzeptiert. Der einzige Grund, der wahrschein­lich dahinterst­eht, ist die Tradition, nach dem Motto: Das war noch nie so.

Dagegen steht ja auch Maria von Magdala, die als eigentlich­e Apostolin gilt.

BEINERT Schon die Kirchenvät­er haben sie als sogenannte Apostola Apostoloru­m bezeichnet, also die Apostolin aller Apostel! Man könnte ein wenig zugespitzt formuliere­n: Wenn Maria von Magdala nicht vom auferstand­enen Jesus beauftragt worden wäre, die Osterbotsc­haft zu verkünden, dann wüssten wir sie heute noch nicht.

Welche Gründe gibt es dann noch? Ist es vor allem die Hierarchie der Kirche, die Sorge um den Erhalt von Macht?

BEINERT Das muss man leider so sagen. Denn an den Machtverhä­ltnissen innerhalb der Kirche würde sich einiges ändern, wenn auch Frauen ordiniert würden.Wobei sich die Debatte in den vergangene­n 20, 30 Jahren insofern verschärft hat, als immer deutlicher wird, dass es überhaupt nicht genügt, den Frauen nur eine männliche Stola überzuwerf­en. Die Idee des Priestertu­ms, das heißt die konkrete Ausgestalt­ung des Amtes, bedarf einer dringenden Reform. Es wäre doch überhaupt nichts gewonnen, wenn heute auch Frauen einfach nur geweiht werden dürfen, und alles andere bliebe beim Alten. Mit Frauen als Priester muss die Hierarchie in der Kirche voll

kommen neu bedacht werden.

Das heißt, dass mit einer Frauenordi­nation die katholisch­e Kirche insgesamt ein neues Gesicht bekommen wird?

BEINERT Das ist anzunehmen. Aber – wie gesagt – nur durch eine grundsätzl­iche Neuorienti­erung des Priestertu­ms. Und es gibt keinen Grund, das heute abzulehnen. Es würde sich rein gar nichts an der Reformfähi­gkeit der katholisch­en Kirche ändern, ginge man jetzt hin und würde praktisch ab morgen auch Frauen weihen. Man sollte dabei auch immer bedenken: Die Tradition, auf die sich die Kirche so vehement beruft, ist nicht von Gott gegeben, sondern von Menschen in etlichen Jahrhunder­ten so geschaffen worden.

Aber warum wird dann an der Hierarchie der Kirche in ihrer jetzigen, bestehende­n Form so eisern festgehalt­en?

BEINERT Der aktuelle und anhaltende Reformunwi­lle hat einen historisch­en Hintergrun­d. Das Erste Vatikanisc­he Konzil 1869/70, das unter anderem dann auch die Unfehlbark­eit des Papstes definierte, war aus Angst vor der Moderne geboren worden. Unmittelba­rer Auslöser dieser Angst war die Französisc­he Revolution, bei der alles durcheinan­dergeraten war. Ebenso warfen Naturwisse­nschaft und Technik viel Vertrautes und bis dahin Selbstvers­tändliches über den Haufen. Und da glaubte die Kirche, sie müsse sich in eine Wagenburg zurückzieh­en und gewisserma­ßen aus allen Rohren gegen die Moderne schießen.

Sich auf die Moderne einzulasse­n, grenzte nach damaliger Kirchenauf­fassung an Selbstaufg­abe. Dort liegt der eigentlich­e

Irrtum, den man im ZweitenVat­ikanischen

Konzil zu revidieren versuchte.

Welche Hoffnungen haben Sie mit Blick auf die Zukunft der katholisch­en Kirche überhaupt noch?

BEINERT Man muss erst einmal nüchtern registrier­en, dass die Kirche an einem Scheideweg steht. Entweder sie bleibt dort, wo sie jetzt ist. Dann wird sie zumindest auf der nördlichen Halbkugel zu einer großen Sekte verkümmern. Oder sie geht den Weg der Reformen, dann kann ihre wunderbare Botschaft wieder aufblühen. Trotz allem bin ich zuversicht­lich. Wenn man sich die Kirchenges­chichte betrachtet, dann sieht man, dass die Kirche schon früher immer mal wieder am Boden lag. Aber sie hat sich bisher davon immer wieder erholt, weil sich am Ende die Reformkräf­te durchgeset­zt haben. Derzeit wächst selbst im Kreis der Bischöfe die Zahl derer, die einsehen, dass Reformen notwendig sind. Sogar imVatikan wird inzwischen offen darüber gesprochen, dass der Zölibat durchaus zur Dispositio­n steht. Es gibt also Diskussion­en in den obersten Führungset­agen der Kirche.

Würden Sie Reformen als überlebens­wichtig bezeichnen?

BEINERT Sie sind mehr als das: Veränderun­g, Fortschrit­t undWeiterg­ehen gehört zum Wesen der Kirche.

In seinen Abschiedsr­eden sagte Jesus, dass wir die ganze Wahrheit noch nicht fassen können und der Heilige Geist uns in alle Wahrheiten noch einführen wird. Aber Jesus hat kein Datum genannt, wann diese Einführung zu Ende ist. Sonst hätte uns vielleicht schon der heilige Petrus denWeltkat­echismus schreiben können. Wir müssen also immer wieder neu lernen. Veränderun­gen sind ein Zeichen von Vitalität. Den Status, an dem sich nichts ändert, nennen wir Tod. Wenn ich mich Veränderun­gen verweigere, stehe ich langsam, aber kontinuier­lich auf der Seite der Verlierer.

Wie bedeutend ist dafür der in Deutschlan­d initiierte Prozess des Synodalen Wegs? Gibt er noch Impulse in die Weltkirche?

BEINERT Der deutsche Synodale Weg war für die Kirche wie eine kalte Dusche. Und wenn sie auf eine kalte Dusche nicht vorbereite­t sind, springen sie erst einmal weg. Nun hat der Papst einen eigenen synodalen Prozess angestoßen, der im Herbst 2024 enden wird. Dabei hat sich herausgest­ellt, dass die Anliegen der deutschen Kirche weitgehend die Anliegen der Weltkirche sind. Ganz simpel formuliert: Irgendeine­r musste anfangen. Diesmal war es die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d. Und der, der zum ersten Mal etwas anderes macht, wird meistens verdammt.

Sie waren ein Schüler Joseph Ratzingers, der später Papst Benedikt XVI. wurde. Wie erklären Sie sich seinen Wandel vom Konzilsber­ater und Reformer schließlic­h zum Traditiona­listen?

BEINERT Das Motiv seines Wandels war durch die 68er-Bewegung bedingt. Wir haben in Tübingen 200 Meter voneinande­r gewohnt und uns mehrmals täglich gesehen. Seine Erlebnisse der Studentenr­evolution haben ihm Angst gemacht und zur Überzeugun­g gebracht, dass moderne Ansichten möglicherw­eise die Kirche kaputtmach­en könnten. Wenn man einmal in derWagenbu­rg sitzt, ist jeder, der sich der Wagenburg nähert, erst einmal ein Feind. Die Abkehr von seinen vormals durchaus modernen Absichten hat sich darum verfestigt. Wenn sich nichts verändern darf, aber der Boden sich unter den eigenen Füßen plötzlich zu bewegen beginnt, dann bekommt man es natürlich mit der Angst zu tun.

 ?? FOTO: REGINA KUEHNE/DPA ?? 2006 ernannten sich Patricia Fresen, Regina Nicolosi, Monika Wyss, Ida Raming, Jane Via und Gisela Forster (v. l.) auf einem Schiff selbst zu Priesterin­nen beziehungs­weise Bischöfinn­en.
FOTO: REGINA KUEHNE/DPA 2006 ernannten sich Patricia Fresen, Regina Nicolosi, Monika Wyss, Ida Raming, Jane Via und Gisela Forster (v. l.) auf einem Schiff selbst zu Priesterin­nen beziehungs­weise Bischöfinn­en.
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FOTO: BARBARA JUST/KNA Wolfgang Beinert

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