Das Titel-Trauma heißt „Unterhaching“
Der Werksklub hat inzwischen wirklich alles, was man zum Erfolg im Spitzenfußball braucht. Bayer 04 Leverkusen fehlen nur noch die Titel.
LEVERKUSEN Gerne wird Bayer 04 das Etikett des Aspirin-Klubs angeheftet, ein Fußballverein als Anhängsel der Chemieindustrie. Tatsächlich aber ist Bayer 04 ein Traditionsverein und trägt das Gründungsjahr im Namen. Nach Bayern München und Borussia Dortmund ist Leverkusen der Klub, der am längsten ohne Unterbrechung in der höchsten deutschen Spielklasse kickt. Das Etikett „Werkself“hat derVerein stolz zum Markenzeichen erhoben. Bayer steht seit vielen Jahren für Spitzenfußball. Namhafte und charismatische Trainer, Nationalspieler aus vielen Ländern
und Fans, die lautstark hinter ihrer Mannschaft stehen. Eigentlich hat der Verein alles, was ein Spitzenklub braucht. Was fehlt, sind Titel. Das könnte sich nun ändern. Möglich bleiben drei.
Der Bundesligaaufstieg 1979 war der Startschuss auf dem Weg nach oben. Mit Trainer Erich Ribbeck gelang es der Mannschaft, sich ab 1985 in der oberen Tabellenhälfte zu etablieren. 1988 erfüllte sich erstmals ein Traum der Fans. Bayer 04 holte den Europapokal. Nachdem Austria Wien, FC Toulouse, Feyenoord Rotterdam, der FC Barcelona und mit Werder Bremen, der spätere deutsche Meister, aus dem Wettbewerb geworfen worden waren,
traf Leverkusen im Finale auf den anderen Vertreter aus Barcelona, Espanyol. Das Hinspiel ging am 4. Mai 1988 im Estadi Sarrià in Barcelona mit 0:3 verloren, der Titel war so gut wie verspielt. Im Rückspiel am 18. Mai geschah das Unglaubliche: Bayer gewann ebenfalls mit 3:0. Das Spiel ging ins Elfmeterschießen, Leverkusen siegte insgesamt mit 6:5 Toren. In der Farbenstadt gab es kein Halten mehr. Tausende Fans feierten auf dem Rathausvorplatz. Ein Autokorso bahnte sich den Weg durch die Menge. Im ersten Cabrio saß Trainer Erich Ribbeck, der den Pokal dem Volk präsentierte.
Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 begann die Ära Rai
ner Calmund. Er nahm die DDR-Nationalspieler Ulf Kirsten, Andreas Thom und Jens Melzig unter Vertrag. Über seine Kontakte zu Juan Figer, einem einflussreichen brasilianischen Spieleragenten, holte Calmund zahlreiche brasilianische Stars wie Jorginho oder Paulo Sérgio. Zudem schlossen sich charismatische Spieler wie Bernd Schuster und Rudi Völler dem Verein an. Bayer 04 war sportlich längst im Oberstübchen des deutschen Fußballs angekommen. 1993 holte die Mannschaft den DFB-Pokal in die Farbenstadt. Leverkusen gewann das Pokalfinale gegen die Amateure von Hertha BSC mit einem 1:0 durch einen Treffer des Torschützenkönigs der gleichen
Bundesligasaison, Ulf Kirsten. Der erste nationale Titel war erspielt, es sollte der bisher letzte bleiben.
Durch seine zahlreichen verlorenen Finalspiele und nur knapp gescheiterten Meisterschaftsmissionen verdiente sich der Verein unter den Trainern Daum und Toppmöller die spöttische Bezeichnung „Vizekusen“. Dabei wurde vor allem die Saison 1999/2000 für die Fans zum unvergessenen Alptraum: Bayer hatte den Titel vor Augen, war unter Trainer Christoph Daum bis zum 33. Spieltag Tabellenführer, verlor aber am letzten Spieltag gegen Unterhaching und wurde dadurch von Bayern München überholt. Damals war die Meisterfeier vorbereitet, vie
le Häuser in Vereinsfarben beflaggt, am grünen Rathaus hing ein Banner, mit dem der Deutsche Meister begrüßt wurde. Manager Calmund hatte zuvor ausdrücklich zur Vorsicht gemahnt. Das Wort „Meisterfeier“sollte nicht ausgesprochen werden. Die Vorfreude mündete in Schockstarre. Der in Schloss Morsbroich vorbereitete offizielle Empfang der Mannschaft fand nach der Niederlage dennoch statt. Geehrt wurde der Deutsche Vizemeister.
Diesmal könnte es klappen mit einer Meisterfeier. Wo und wann, ist noch geheim. Alles deutet aber auf die Bayarena hin, obwohl es in der Stadt auch schöne Balkone gibt, wenn auch nicht am Rathaus.