Das Herz einer Mutter
Die Gedanken, die ukrainische Frauen bewegen, wenn sie an ihre Söhne im Krieg schreiben, sind als Musiktheaterstück im Schauspielhaus zu sehen.
Der Abend geht an die Nieren. Besonders emotional wird es am Schluss, wenn Tetyana Troitska und Mariana Golovko zum Applaus des Publikums die blau-gelbe Fahne zwischen sich spannen, beide, die Sängerin und die Schauspielerin, mit Tränen in den Augen.
„A Mother’s Heart“nennt sich das dokumentarische Musiktheaterstück von Vlad Troitskyi. Es basiert auf persönlichen Texten, die ukrainische Mütter seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine an ihre Söhne geschrieben haben. Die gelungene Collage aus Schauspiel, Gesang, Animation, Video und Klangkompositionen ist eine Koproduktion mit dem Schauspielkollektiv – Neues Schauspiel Lüneburg und CCA Dakh/Gogolfest, Kiew und Teil des Ukraine-Festivals, das bis 17. April am Düsseldorfer Schauspielhaus läuft.
Die Sängerin Mariana Golovko steht etwas erhöht auf einem Podest, während Tetyana Troitska die Bühne des Kleinen Hauses alleine bespielt. Die Gesänge sind mal anklagend, mal sind es Wiegenlieder für den verlorenen Sohn, immer begleitet von Videocollagen von Mariia Yakovenko, die – als Negativ in Schwarz-Weiß gehalten – dystopische Landschaften einer Welt widerspiegeln, die aus den Fugen zu geraten scheint. Mal entstehen wie von Hand gezeichnete Animationen (Sofiya Melnyk), die etwa das Heranwachsen des Sohnes poetisch in Szene setzen.
Das Bühnenbild ist spartanisch. Die Tische mit lückenhaften Platten werden zum Zaun, zum Haus, zum Boot, zum Keller, in den sich die Mutter immer wieder flüchten muss. Dort kauert sie und schickt ihrem Sohn Briefe – zeitgemäß als Videobotschaften, die live ebenfalls auf die Rückwand projiziert werden. Die Textcollage, die die Briefe der Mütter assoziativ unterfüttert, verwebt ukrainische und deutsche Texte, jeweils mit Untertiteln übersetzt – schließlich sitzen viele Ukrainer im Publikum.
Von einem Kannibalen ist die Rede, der den Menschen weismacht, dass er sie beschützt. Von den rechten Parolen, die sich unter die Friedensdemonstrationen mischen. Frappierend auch, wie sich der Wortlaut einer Rede von Wladimir Putin und Adolf Hitler ähneln, wenn sie, nachdem sie ein Land überfallen haben, die eigene Sicherheit anführen, die angeblich in Gefahr ist. Wie sich die Muster gleichen, sie aber alle die gleichen Fakten schaffen, nämlich dass junge Männer an der Front kämpfen und sterben, während ihre Mütter zu Hause leiden und hoffen.
Troitska liest Briefe, in denen sie vom Kriegsalltag zu Hause eindringlich erzählt, von der Angst im Bunker, die die Tage und Nächte bestimmt, von der alltäglichen Not, der Wasserknappheit, aber auch vom Geruch des Bluts von den vielenVerletzten um sie herum. Unterbrochen werden dieseVideobotschaften von erschreckend alltäglichen Szenen, die Mutter hängtWäsche auf, kocht. Der Tisch, den sie am Ende für viele Gäste deckt, füllt sich allerdings nur in der animierten Fantasie. In Wirklichkeit bleibt er leer.