Der Euro soll grüner werden
Die Führung der Europäischen Zentralbank um Präsidentin Christine Lagarde möchte die K limapolitik stärker beeinf lussen. Das t rifft auf den Widerstand v ieler Mitarbeiter u nd schadet auch der Demokratie.
Die Wirtschaftswissenschaft ist ein Fach, in dem es oft zu scharfen politischen Kontroversen kommt. Früher ging es ums richtige Gesellschaftssystem – Sozialismus oder Kapitalismus, Marktwirtschaft oder zentrale Planung. In Konjunkturfragen stand die konservative Angebotspolitik gegen die linke Nachfragesteuerung à la Keynes. Jetzt ist der Klimawandel das Thema. Am heftigsten tobt der Streit ausgerechnet in einer Institution, die sich einem klaren technokratischen Ziel verpflichtet fühlt: der Europäischen Zentralbank (EZB), deren Auftrag es ist, das Preisniveau stabil zu halten.
In Frankfurt, am Sitz der mächtigen europäischen Institution, geht es nicht mehr nur darum, ob der Euro stabil bleibt – sondern ob er auch ausreichend grün ist. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat die Klimapolitik zu einem zentralen Ziel in der monetären Steuerung der Wirtschaft ausgerufen. Ihr Direktorium und auch die meisten Notenbankpräsidenten des Eurosystems folgen ihr. Dazu hat sie mit dem niederländischen Juristen Frank Elderson einen Aufpasser im Direktorium an ihrer Seite. Er kontrolliert knallhart, dass die Mitarbeiter in Frankfurt die richtige klimapolitische Gesinnung an den Tag legen.
Für interne Empörung hat Elderson gesorgt, als er sich bei Neueinstellungen für eine explizite Überprüfung der Klimatauglichkeit der Bewerber starkmachte. „Warum sollten wir Leute einstellen, die wir umprogrammieren müssen, weil sie von den besten Universitäten kommen, aber immer noch nicht wissen, wie man das Wort ‚Klima’ buchstabiert?“Das saß. Ausgesprochen wurde diese Frage bei einer internen Veranstaltung der Bank, die Mitarbeiter für die Ziele des Klimaschutzes sensibilisieren sollte.
Mit Umprogrammierung, was nach Umerziehung klingt, kommt fast ein autoritärer Zug in die Behörde. Die EZB ist als von der Politik unabhängige Währungsinstitution vor allem für die Geldversorgung und die Preisniveaustabilität verantwortlich. So lautet das gesetzliche und vertragliche Mandat der Euro-Mitgliedsstaaten. In dieser Aufgabe ist die Notenbank keiner parlamentarischen Kontrolle unterstellt – anders als die Notenbanken von Ländern wie Großbritannien oder den USA. Kein Wunder, dass mehr als ein Drittel der
nd
EZB-Beschäftigten von dieser zusätzlichen Zielsetzung wenig hält. Das ergab eine Umfrage des Personalrats, die allerdings bei 57 Prozent der Mitarbeiter durchaus eine Übereinstimmung mit den klimapolitischen Zielen der EZB-Führung feststellte.
Der „Klima- und Naturplan“der Bankspitze, der zu Beginn des Jahres vorgestellt wurde, hört sich zunächst einmal harmlos an. Die EZB will die Forschung über die grüne Finanzierung der Klimatransformation forcieren, stärker die Wirkung von Klimawandel und Naturkatastrophen auf die Inflation untersuchen, die finanziellen Folgen der Erderwärmung stärker beachten und auch die Geldproduktion sowie das eigene Management grüner gestalten. So weit ist alles nachvollziehbar.
Aber die Ambitionen gehen offenbar weiter. Immerhin halten die EZB und die Euro-Notenbanken fast fünf Billionen Euro an Wertpapieren in ihren Bilanzen. Das ist gut ein Fünftel mehr als das gesamte Bruttoinlandsprodukt Deutschlands. Da ist Raum für ziemlich viel Klimapolitik. Wollte die EZB diesen Bestand nach Umweltgesichtspunkten neu ordnen – alsoWertpapiere ersetzen, die den Klimaanforderungen nicht entsprechen – würde das zu gewaltigen Kurssprüngen bei den einzelnenVermögenstiteln führen. Die Klimapolitik wäre auf einmal wichtiger als der
Kampf gegen die Inflation, die zurzeit bei 2,2 Prozent in Deutschland und 2,6 Prozent im Euroraum steht.
Beim gewaltigen Aufkauf von Wertpapieren im Rahmen des Covid-Wiederaufbauprogramms, das EZB und Europäische Kommission gemeinsam seit 2020 betrieben, achtete die Truppe um die Französin Lagarde sehr genau darauf, möglichst grüne Finanzprodukte zu erwerben. Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel machte sich sogar Sorgen, dass der Zinsanstieg als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine den Einsatz erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung gefährden könnte. Der Anteil der Klimapolitik an den monetären Maßnahmen ist also schon heute groß.
Vielen geht das bereits zu weit. Das belgische Mitglied im europäischen Zentralbankrat, Pierre Wunsch, stellte klar, dass der Kampf gegen den Klimawandel Aufgabe der Regierungen und nicht der EZB sei. Die Politikregel des linken, inzwischen verstorbenen Wirtschaftsnobelpreisträgers Jan Tinbergen lautet, dass jedes wirtschaftspolitische Ziel mit jeweils einem Instrument erreicht werden soll. Die Staaten müssten also ein Anreizsystem für die Verminderung der CO2-Emissionen setzen, während die EZB allein für die Preisniveaustabilität verantwortlich ist. Setzen sich die zwei Institutionen für beide Ziele ein, könnten sie sich gegenseitig schwer behindern. Das Ergebnis wäre weder für das Klima noch für ein stabiles Preisniveau gut.
Noch weiter gehen Forderungen, die EZB solle für umweltfreundliche Investitionen und Wertpapiere einen günstigeren Leitzins einräumen. Damit betriebe sie Wirtschaftspolitik, ohne demokratisch legitimiert zu sein. Ein schwererVerstoß gegen ihr Mandat. Die Unruhe bei den EZB-Mitarbeitern hat ihr Gutes. Sie bremst die klimapolitischen Ambitionen der Bankführung. Die mögen gut gemeint sein, aber das Gegenteil dessen bewirken, was sie erreichen sollen.
Es gibt Forderungen nach einem ermäßigten Leitzins für ökologische Investitionen