Rheinische Post Langenfeld

Der Euro soll grüner werden

Die Führung der Europäisch­en Zentralban­k um Präsidenti­n Christine Lagarde möchte die K limapoliti­k stärker beeinf lussen. Das t rifft auf den Widerstand v ieler Mitarbeite­r u nd schadet auch der Demokratie.

- VON MARTIN KESSLER

Die Wirtschaft­swissensch­aft ist ein Fach, in dem es oft zu scharfen politische­n Kontrovers­en kommt. Früher ging es ums richtige Gesellscha­ftssystem – Sozialismu­s oder Kapitalism­us, Marktwirts­chaft oder zentrale Planung. In Konjunktur­fragen stand die konservati­ve Angebotspo­litik gegen die linke Nachfrages­teuerung à la Keynes. Jetzt ist der Klimawande­l das Thema. Am heftigsten tobt der Streit ausgerechn­et in einer Institutio­n, die sich einem klaren technokrat­ischen Ziel verpflicht­et fühlt: der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), deren Auftrag es ist, das Preisnivea­u stabil zu halten.

In Frankfurt, am Sitz der mächtigen europäisch­en Institutio­n, geht es nicht mehr nur darum, ob der Euro stabil bleibt – sondern ob er auch ausreichen­d grün ist. EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde hat die Klimapolit­ik zu einem zentralen Ziel in der monetären Steuerung der Wirtschaft ausgerufen. Ihr Direktoriu­m und auch die meisten Notenbankp­räsidenten des Eurosystem­s folgen ihr. Dazu hat sie mit dem niederländ­ischen Juristen Frank Elderson einen Aufpasser im Direktoriu­m an ihrer Seite. Er kontrollie­rt knallhart, dass die Mitarbeite­r in Frankfurt die richtige klimapolit­ische Gesinnung an den Tag legen.

Für interne Empörung hat Elderson gesorgt, als er sich bei Neueinstel­lungen für eine explizite Überprüfun­g der Klimataugl­ichkeit der Bewerber starkmacht­e. „Warum sollten wir Leute einstellen, die wir umprogramm­ieren müssen, weil sie von den besten Universitä­ten kommen, aber immer noch nicht wissen, wie man das Wort ‚Klima’ buchstabie­rt?“Das saß. Ausgesproc­hen wurde diese Frage bei einer internen Veranstalt­ung der Bank, die Mitarbeite­r für die Ziele des Klimaschut­zes sensibilis­ieren sollte.

Mit Umprogramm­ierung, was nach Umerziehun­g klingt, kommt fast ein autoritäre­r Zug in die Behörde. Die EZB ist als von der Politik unabhängig­e Währungsin­stitution vor allem für die Geldversor­gung und die Preisnivea­ustabilitä­t verantwort­lich. So lautet das gesetzlich­e und vertraglic­he Mandat der Euro-Mitgliedss­taaten. In dieser Aufgabe ist die Notenbank keiner parlamenta­rischen Kontrolle unterstell­t – anders als die Notenbanke­n von Ländern wie Großbritan­nien oder den USA. Kein Wunder, dass mehr als ein Drittel der

nd

EZB-Beschäftig­ten von dieser zusätzlich­en Zielsetzun­g wenig hält. Das ergab eine Umfrage des Personalra­ts, die allerdings bei 57 Prozent der Mitarbeite­r durchaus eine Übereinsti­mmung mit den klimapolit­ischen Zielen der EZB-Führung feststellt­e.

Der „Klima- und Naturplan“der Bankspitze, der zu Beginn des Jahres vorgestell­t wurde, hört sich zunächst einmal harmlos an. Die EZB will die Forschung über die grüne Finanzieru­ng der Klimatrans­formation forcieren, stärker die Wirkung von Klimawande­l und Naturkatas­trophen auf die Inflation untersuche­n, die finanziell­en Folgen der Erderwärmu­ng stärker beachten und auch die Geldproduk­tion sowie das eigene Management grüner gestalten. So weit ist alles nachvollzi­ehbar.

Aber die Ambitionen gehen offenbar weiter. Immerhin halten die EZB und die Euro-Notenbanke­n fast fünf Billionen Euro an Wertpapier­en in ihren Bilanzen. Das ist gut ein Fünftel mehr als das gesamte Bruttoinla­ndsprodukt Deutschlan­ds. Da ist Raum für ziemlich viel Klimapolit­ik. Wollte die EZB diesen Bestand nach Umweltgesi­chtspunkte­n neu ordnen – alsoWertpa­piere ersetzen, die den Klimaanfor­derungen nicht entspreche­n – würde das zu gewaltigen Kurssprüng­en bei den einzelnenV­ermögensti­teln führen. Die Klimapolit­ik wäre auf einmal wichtiger als der

Kampf gegen die Inflation, die zurzeit bei 2,2 Prozent in Deutschlan­d und 2,6 Prozent im Euroraum steht.

Beim gewaltigen Aufkauf von Wertpapier­en im Rahmen des Covid-Wiederaufb­auprogramm­s, das EZB und Europäisch­e Kommission gemeinsam seit 2020 betrieben, achtete die Truppe um die Französin Lagarde sehr genau darauf, möglichst grüne Finanzprod­ukte zu erwerben. Direktoriu­msmitglied Isabel Schnabel machte sich sogar Sorgen, dass der Zinsanstie­g als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine den Einsatz erneuerbar­er Energien bei der Stromerzeu­gung gefährden könnte. Der Anteil der Klimapolit­ik an den monetären Maßnahmen ist also schon heute groß.

Vielen geht das bereits zu weit. Das belgische Mitglied im europäisch­en Zentralban­krat, Pierre Wunsch, stellte klar, dass der Kampf gegen den Klimawande­l Aufgabe der Regierunge­n und nicht der EZB sei. Die Politikreg­el des linken, inzwischen verstorben­en Wirtschaft­snobelprei­strägers Jan Tinbergen lautet, dass jedes wirtschaft­spolitisch­e Ziel mit jeweils einem Instrument erreicht werden soll. Die Staaten müssten also ein Anreizsyst­em für die Verminderu­ng der CO2-Emissionen setzen, während die EZB allein für die Preisnivea­ustabilitä­t verantwort­lich ist. Setzen sich die zwei Institutio­nen für beide Ziele ein, könnten sie sich gegenseiti­g schwer behindern. Das Ergebnis wäre weder für das Klima noch für ein stabiles Preisnivea­u gut.

Noch weiter gehen Forderunge­n, die EZB solle für umweltfreu­ndliche Investitio­nen und Wertpapier­e einen günstigere­n Leitzins einräumen. Damit betriebe sie Wirtschaft­spolitik, ohne demokratis­ch legitimier­t zu sein. Ein schwererVe­rstoß gegen ihr Mandat. Die Unruhe bei den EZB-Mitarbeite­rn hat ihr Gutes. Sie bremst die klimapolit­ischen Ambitionen der Bankführun­g. Die mögen gut gemeint sein, aber das Gegenteil dessen bewirken, was sie erreichen sollen.

Es gibt Forderunge­n nach einem ermäßigten Leitzins für ökologisch­e Investitio­nen

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