Ministerin im Abseits
Ob Lisa Paus noch ins Ziel kommt, steht in den Sternen: Die Verabschiedung der Kindergrundsicherung im Bundestag ist nicht in Sicht. Das hat mehrere Gründe.
Wie nur aus der Defensive in die Offensive kommen? Zum Beispiel mit der Farbe Pink. Bei ihrem Auftritt in einer Berliner Schule trägt die Bundesfamilienministerin die umstrittene Version der Trikots der deutschen Nationalmannschaft für die EM. Im pink-lila Dress tritt sie in der Turnhalle vor die Jugendlichen, um mit ihnen über Europa und Fußball zu sprechen. Hinter ihr steht zu diesem Anlass der Original-EM-Pokal. Sie hätten doch sicher die„wunderbare“Diskussion um die Trikots mitbekommen, fragt Lisa Paus die Jugendlichen ironisch mit Blick auf die Aufregung über die „Barbie“Farbe der Fußballkleidung. Sie finde das super, sagt die Ministerin.
Es ist einer der angenehmeren Termine im Arbeitsalltag der Grünen-Politikerin. Mit keinemWort erwähnt sie aber ein anderes Thema, das zwar das Prestigeprojekt ihrer Partei, aber kaum noch umzusetzen ist: die Kindergrundsicherung. Darin sollen Kindergeld, der Kinderzuschlag für einkommensarme Familien sowie Sozialleistungen für Kinder gebündelt werden. Für Paus ist es die„Antwort auf Kinderarmut“in Deutschland. Mehr als fünf Millionen Kinder und Jugendliche sollen erreicht werden. Man könnte meinen, das sei eine dankbare Aufgabe. Denn wer ist schon so herzlos und will Kindern nicht aus der Armut helfen? Doch weil Paus eher ungeschickt agiert, stößt sie auf massiven Gegenwind bei der FDP, aber auch auf Skepsis in der SPD. Selbst in den Reihen der Grünen und im eigenen
Ministerium herrscht inzwischen Ratlosigkeit.
Wie konnte das passieren? Zunächst hat Paus die umfassende sozialpolitische Reform nicht von Anfang an begleitet, sondern geerbt: Denn das Amt der zuständigen Ministerin hatte zunächst Parteikollegin Anne Spiegel inne, die nach nur vier Monaten wegen Fehlern im Umgang mit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal zurücktreten musste.
Paus trat als mindestens zweiteWahl an die Spitze des Hauses. Die Diplom-Volkswirtin hatte sich zuvor als langjährige Obfrau im Bundestagsfinanzausschuss parteiübergreifend Respekt erarbeitet. Doch ist es das eine, mit Zahlen umgehen und hart verhandeln zu können. Ein Haus zu führen, Autorität auszustrahlen, klare Linien vorzugeben und diese zu kommunizieren, sind andere Eigenschaften und Fertigkeiten, die Paus in dieser Rolle braucht – und die ihr augenscheinlich fehlen.
Bei der Kindergrundsicherung jedenfalls kommt die Ministerin von Anfang an kaum voran. Vor allem weil sie dafür zunächst zwölf Milliarden Euro fordert und für die Umsetzung 5000 neue Stellen schaffen will, stößt sie bei der FDP auf Gegenwehr. Sie kämpft mit offenem Visier anstatt auf den richtigen Moment zu warten und zunächst in Hinterzimmern Bündnisse zu schmieden. Nachdem sie sich monatelang nicht durchsetzen kann, kommt es Mitte August 2023 zum Eklat, als Paus im Kabinett einen Gesetzentwurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP) blockiert, der Steuererleichterungen für Firmen enthält. ZweiWochen später einigt sich die Ampel auf die Sozialreform, Ende September folgt ein Kabinettsbeschluss, im November befasst sich der Bundestag erstmals mit dem Gesetzentwurf.
Seither kommt das Regelwerk nicht weiter voran, zuständige Abgeordnete beklagen, dass die Antworten auf Prüfbitten auf sich warten lassen und wichtige Fragen noch offen sind. Als die Ministerin in dieser Gemengelage erneut einen Personalaufwuchs um 5000 Stellen mit einer „Bringschuld des Staates“begründet, bricht der alte Streit wieder mit voller Wucht aus. Im Bundestag wird inzwischen von einer schrittweisen Einführung der Reform ausgegangen. Aber: Was in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommt, kommt eventuell gar nicht mehr, wenn sich nach der Bundestagswahl die Mehrheitsverhältnisse geändert haben.