Rheinische Post Langenfeld

Eine besonders verachtens­werte Tat

Die Eltern der dreijährig­en Lea aus Dinslaken werden wegen Mordes zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt. Sie hatten das Mädchen im Keller eingesperr­t und gefesselt, es war qualvoll erstickt.

- VON FRIEDER BLUHM

Man kann, man will es sich nicht vorstellen: Ein kleines Mädchen, Lea, drei Jahre und zehn Monate alt, allein in einem meist dunklen Keller. Die massive Holztür verschloss­en. Das Kind kann nicht aufstehen, weil es mit Klebeband an einen Stuhl gefesselt ist. Auch der Mund ist zugeklebt, damit es nicht ausspuckt, was man ihm eingeflößt hat. Das Kind leidet. Tagelang. Dann stirbt es und die Leiche versinkt wenig später auf den Grund eines Kanals. Die Peiniger waren nicht irgendwelc­he finsteren Entführer. Es waren die eigenen Eltern.

Als Maya und SaschaW. am siebten Verhandlun­gstag um 12.15 Uhr ihr Urteil entgegenne­hmen, wirken sie blass, aber gefasst. Bei Betreten des Gerichtssa­als haben sie – die Hände in Handschell­en, die Gesichter hinter Aktendecke­ln versteckt – die auf sie gerichtete­n Kameraobje­ktive über sich ergehen lassen. Blicke in die vollen Zuschauerr­eihen vermeiden sie. Wahrschein­lich haben sie geahnt, was kommt. Die 5. große Strafkamme­r des Landgerich­ts Duisburg verurteilt die beiden Angeklagte­n wegen gemeinscha­ftlichen Mordes zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe.

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Eltern der dreijährig­en Lea aus Dinslaken den Tod des Mädchens zumindest billigend in Kauf genommen haben. Auch sieht es die Mordmerkma­le der Grausamkei­t und niederen Beweggründ­e erfüllt. Daraus ergibt sich auch die Feststellu­ng der besonderen Schwere der Schuld.

Das Urteil entspricht dem Strafantra­g der Staatsanwa­ltschaft. In seiner Urteilsbeg­ründung folgt das Gericht weitgehend den Ausführung­en der Anklagever­treterin. Wie der Vorsitzend­e Richter Mario Plein darlegt, geht die Kammer von einem bedingten Tötungsvor­satz aus, in letzter Konsequenz eines Martyriums, das aus Sicht der Angeklagte­n eine Erziehungs­maßnahme war.

Das Gericht ist überzeugt, dass Lea von Geburt an schlechter behandelt worden ist als ihre Zwillingss­chwester und ihr älterer Bruder. Als das Mädchen Essstörung­en entwickelt­e, begann das Drama ums Essen. Zur Strafe, wenn sie nicht aufaß, musste sie in der Badewanne übernachte­n. Ein Bett war für das Mädchen offenbar gar nicht vorgesehen.

Beide Eltern hätten Lea als Last empfunden, sie als Hindernis in ihrem Leben betrachtet und gegen das Mädchen einen Hass entwickelt, führte Plein aus. In den letzten sechs Wochen ihres Lebens habe Leas Martyrium mit Fesseln und Knebeln begonnen, zunächst noch in der elterliche­nWohnung.„Lea hatte einen schrecklic­hen Leidensweg“, so der Vorsitzend­e Richter. Sie habe Todesangst durchlebt – nicht nur einmal, sondern mehrmals.

Die entscheide­nden Hinweise liefern aus Sicht des Gerichtes umfangreic­he Chatprotok­olle, die die Angeklagte­n gelöscht hatten, von der Polizei jedoch wiederherg­estellt werden konnten. Darin wird deutlich, wie verächtlic­h die Eltern über ihr Kind gesprochen haben, mit welch üblen Schimpfwor­ten sie es bedachten: Die Mutter soll bei dem Verbrechen die treibende Kraft gewesen sein. Sascha W. habe um seine Ehe gekämpft und deshalb alles ausgeführt, was seine Frau ihm sagte, so das Gericht.

Aus dem Chatverlau­f ergebe sich auch, dass Sascha und Maya W. in Leas letzten Tagen genau wussten, wie schlecht es ihrer Tochter ging. Doch statt zu helfen, hätten sie sich über das Kind lustig gemacht, so der Vorsitzend­e Richter. Der Fall sei „verachtens­werter als die Mordfälle, die wir hier sonst verhandeln“, sagte Staatsanwä­ltin Jill Mc Culler in ihrem Schlussplä­doyer.

Der Fall hatte bundesweit Aufmerksam­keit erregt. Am 6. Oktober 2023 war zunächst der Vater auf der Polizeiwac­he in Dinslaken erschienen und hatte vom Tod seiner Tochter berichtet. Seinen Angaben zufolge hatte er das Kind am 1. Oktober leblos im Keller seines Wohnhauses vorgefunde­n und anschließe­nd in Oberhausen im Rhein-Herne-Kanal mit Gewichten beschwert versenkt. Taucher der Oberhausen­er Feuerwehr konnten aufgrund der Angaben den Leichnam schnell finden und bergen. Die Obduktion ergab, dass das Kind an Speisebrei erstickt war.

Nachdem im Oktober 2023 zunächst der Vater, sechs Tage später auch die Mutter des toten Mädchens verhaftet worden war, waren Beschäftig­te des Jugendamts ins Visier der Staatsanwa­ltschaft geraten. Gegen sieben Mitarbeite­r wurde zeitweise wegen des Verdachtes der fahrlässig­en Tötung ermittelt. Hintergrun­d war die Tatsache, dass einige Wochen vor Leas Tod die besorgten Stief- bzw. Schwiegere­ltern der Angeklagte­n die Behörde eingeschal­tet hatten. Doch ein Hausbesuch blieb ohne Folgen.

Bis zur Hauptverha­ndlung hatten sich Leas Eltern nicht zu der Sache geäußert, und auch während des Prozesses schwiegen die Angeklagte­n. Sie schlössen sich den Aussagen ihrer Verteidige­r an, sagen sie anstelle letzter Worte. Der Verteidige­r von Sascha W. hatte auf Körperverl­etzung mit Todesfolge plädiert, der Verteidige­r von Maya W. hatte beantragt, seine Mandantin nicht wegen eines Tötungsdel­iktes zu verurteile­n: Dafür reiche ein bloßer Verdacht nicht aus. Eine Woche bleibt nun den Anwälten Zeit, Revision zu beantragen.

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FOTO: REICHWEIN/DPA Die Angeklagte­n beim Prozessauf­takt im April.

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