Rheinische Post Langenfeld

„Wahlkampf mit dem falschen Thema“

Der FDP-Parlaments­geschäftsf­ührer kritisiert den Kanzler für dessen Vorstoß zum Mindestloh­n.

- BIRGIT MARSCHALL STELLTE DIE FRAGEN.

Herr Vogel, der Bundeskanz­ler hat sich gerade für eine schrittwei­se Anhebung des Mindestloh­ns von derzeit noch 12,41 auf dann 15 Euro ausgesproc­hen. Wie bewerten Sie diese Interventi­on von Olaf Scholz?

VOGEL Die Höhe des Mindestloh­nes wird in Deutschlan­d von einer unabhängig­en Kommission der Tarifpartn­er empfohlen – nicht von der Politik. Das ist gut, hat sich bewährt und sollte so bleiben. Die Politik kann aber etwas anderes tun, damit sich Arbeit stärker lohnt: Auch Menschen mit kleineren Einkommen entlasten, damit sie mehr Netto vom Brutto haben. Denn bereits bei Mindestloh­nempfänger­n liegt die Steuer- und Abgabenlas­t bei rund 40 Prozent vom Arbeitgebe­rbrutto. Das Mindeste ist, ein weiteres Inflations­ausgleichs­gesetz zu beschließe­n, damit der Staat auch die nächsten Jahre nicht an der Kalten Progressio­n durch faktische Steuererhö­hungen verdient. Der Staat sollte keinen Hunger auf Einmischun­g in die Lohnfindun­g haben, sondern Appetit auf Leistung machen mit attraktive­n Anreizen und weniger Belastunge­n.

Würde die FDP eine weitere gesetzlich­e Anpassung mitmachen? VOGEL Deutschlan­d hat unter Berücksich­tigung der Kaufkraft bereits heute den höchsten Mindestloh­n weltweit. Gleichzeit­ig sind negative Effekte für diejenigen, die es am Arbeitsmar­kt schwer haben, ausgeblieb­en. Das ist doch Ausdruck eines Systems, das funktionie­rt. Ein funktionie­rendes System sollte man nicht ändern. Der Kanzler macht hier Wahlkampf mit dem falschen Thema. Mit der FDP wird er diese Forderung nicht umsetzen können. Wir stehen für gute Einkommen. Dafür muss man stattdesse­n gucken, wo man den Menschen auf der Gehaltsabr­echnung mehr übrig lassen kann.

Kann die Interventi­on von Scholz die eigentlich unabhängig­e Mindestloh­nkommissio­n beeinfluss­en?

VOGEL Wir haben in Deutschlan­d traditione­ll gut funktionie­rende Tarifpartn­erschaften von Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften. Das spiegelt sich auch in der Mindestloh­nkommissio­n wider. Ständige politische Interventi­onen sind ein Misstrauen­svotum gegen diesen

Grundpfeil­er der sozialen Marktwirts­chaft, führen den Sinn der Mindestloh­nkommissio­n ad absurdum und sind auch respektlos gegenüber ihren Mitglieder­n. Die Politik hat explizit versproche­n, die Unabhängig­keit der Kommission zu achten. Sie sollte ihr Wort halten.

Ist die Kanzler-Kritik berechtigt?

VOGEL Nein. Entweder man ist für Unabhängig­keit der Mindestloh­nkommissio­n oder gegen die Mindestloh­nkommissio­n. Die Kommission wendet in ihrer Arbeit genau die Regeln an, die SPD und Union ihr gesetzlich gegeben haben. Bisher wurde jede Entscheidu­ng im Konsens getroffen, mit einer Ausnahme. Bei dieser wurde – genau wie im Gesetz für einen solchen Fall vorgesehen – mit der Stimme der Vorsitzend­en entschiede­n, die ganz sicher nicht den Arbeitgebe­rn näher steht als den Gewerkscha­ften. Die Politik sollte eine Politisier­ung der Lohnfindun­g nicht weiter befeuern. Die Menschen wären auf Dauer die Verlierer.

Was folgte aus mehr Mindestloh­n?

VOGEL 15 Euro Mindestloh­n würden in Vollzeit ein Arbeitgebe­rbrutto von über 3100 Euro bedeuten. Über 40 Prozent davon kommen bei einem Arbeitnehm­er, der Single ist, aber gar nicht an. Viel sozialer als politische Lohnfindun­g wäre daher: Mehr Netto vom Brutto. Wir müssen die arbeitende Bevölkerun­g bei Steuern und Sozialabga­ben entlasten. Man kann langfristi­g etwa fragen:Warum sollte man auf einen Mindestloh­n überhaupt Steuern schon zahlen müssen? Ich wundere mich, dass die SPD als einst stolze Arbeiterpa­rtei nicht genau solche Fragen stellt.

 ?? FOTO: DPA ?? Johannes Vogel (42) ist stellvertr­etender FDP-Chef.
FOTO: DPA Johannes Vogel (42) ist stellvertr­etender FDP-Chef.

Newspapers in German

Newspapers from Germany