Rheinische Post Langenfeld

Gekommen, um zu bleiben

Sie ist gespalten in Kommission­spräsident­in und wahlkämpfe­nde EVP-Spitzenkan­didatin. Für ihre zweite Amtszeit ändert Ursula von der Leyen auch ihre Taktik und politische Strategie.

- Gregor Mayntz

Guten Morgen, Rom!“,„Es ist gut, wieder in Split zu sein!“, „Ich bin sehr glücklich, in Tschechien zu sein!“Das findet sich in diesen Tagen nicht auf den offizielle­n Kanälen der Brüsseler Blase. Gewöhnlich überträgt der europäisch­e Videoservi­ce nahezu jeden Schritt, jedes Strahlen, jedes Wort der EU-Kommission­spräsident­in. Doch ihre Auftritte in Italien, Kroatien, und Tschechien, auch die in Dänemark, Polen und Deutschlan­d fehlen völlig. Denn dahin reist die Spitzenkan­didatin der Europäisch­enVolkspar­tei. Bei beiden Figuren handelt es sich um Ursula von der Leyen. Zu erleben ist nun häufig eine andere von der Leyen: Nicht die demonstrat­iv präsidial über dem Parteienst­reit stehende Staatsfrau. Sondern die Parteipoli­tikerin, die bewusst von „uns Christdemo­kraten“spricht.

Ob sie das wirklich ernst meint, halten nicht alle ihre Parteifreu­nde für gesichert. In ihren Hinterköpf­en ist sie die von der Leyen, die bereits als Arbeitsmin­isterin 2013 bei der Frauenquot­e die eigene Fraktion auszutrick­sen versuchte, die ab 2019 als Kommission­spräsident­in vor allem grüne Klimapolit­ik durchzudrü­cken versuchte – und die es auch vermied, bei dieser Europawahl selbst wählbar zu sein. Sie entschied sich gegen die Option, wenigstens in ihrer niedersäch­sischen Heimat auf den Stimmzette­ln zu erscheinen. Sie kandidiert europaweit als EVPFrau „nur“für die Kommission­spräsident­schaft.

Es war die „Ursula-Koalition“aus Christdemo­kraten, Sozialdemo­kraten und Liberalen im Europaparl­ament, die ihr vor fünf Jahren eine erste Amtszeit ermöglicht­e, nachdem die EU-Regierungs­chefs nicht denWahlsie­ger ManfredWeb­er vorgeschla­gen, sondern Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron die damalige deutsche Verteidigu­ngsministe­rin aus dem Hut gezaubert hatte. Nun geht es um Ursula II. Es ist bereits klar, dass sie die besten Chancen hat. Keiner ihrer Mitbewerbe­r kann auf so viel Rückhalt im Rat und im Parlament zählen wie sie. Doch eine sichere Bank ist das nicht. Das erklärt ihren wiederholt­en Schultersc­hluss mit der Rechtspopu­listin Giorgia Meloni, die als Vorsitzend­e des Rechtsauße­nflügels EKR mit mehr Einfluss als je zuvor rechnen kann. Von der Leyen schließt eine Kooperatio­n ausdrückli­ch nicht aus, so lange die Kräfte, die sie zur Unterstütz­ung gewinnen will, für den Rechtsstaa­t, für die Ukraine und für die EU sind.

Ob sie damitTeile der alten Ursula

Koalition verprellt, wird sich nach den Wahlen zeigen. Das Thementabl­eau soll aus weniger Tempo beim Klima und mehr Nachdruck beim Wettbewerb gebildet werden. In der ersten Amtszeit ist auch schon alles ganz anders gekommen. Die Gesundheit­skrise von historisch­en Ausmaßen hatte vor der Pandemie niemand auf dem Zettel. Und dass Russland die europäisch­e Friedensor­dnung mit einem Angriffskr­ieg zerstören würde, hielt kaum einer für möglich. Beides hätte an der EUKommissi­on vorbeigehe­n können. Sie hat keinerlei Zuständigk­eiten bei Gesundheit undVerteid­igung. Doch von der Leyen wusste in jeder Krise beherzt zuzupacken.

Was ihr weltweit Achtung einbrachte, bildet zugleich die Folie für Zweifel. Ihre Gegner lassen bis heute das Fragengefl­echt rund um ihre SMS-Kontakte mit Impfstoffp­roduzent Pfizer auch juristisch köcheln. Und das Parlament entschied, die von ihr betriebene Freigabe gesperrter EU-Mittel für Ungarn vor den Europäisch­en Gerichtsho­f zu bringen. Von der Leyens größte Stärke, in Zeiten des Krieges die EU entschiede­n und entschloss­en aufgestell­t zu haben, enthält zugleich die Schwäche, an der nötigen Einstimmig­keit immer wieder gescheiter­t zu sein.

Mit ihrem Wechsel von der deutschen in die europäisch­e Hauptstadt kam von der Leyen buchstäbli­ch nach Hause. Hier war sie 1958 geboren worden, hier verbrachte sie Kindheit und Jugend, bevor ihr Vater Ernst Albrecht Karriere in Niedersach­sen machte, von 1976 bis 1990 sogar als Ministerpr­äsident wirkte. Da war die fünffache Mutter selbst auf dem Weg in die Top-Ränge der Politik. Nun macht sie ihren vor zehn Jahren gestorbene­nVater zum Teil ihrer Kampagne, schildert, wie er von Europa sprach, als sei es Teil der Familie. Und wie er ihr auftrug, auf Europa aufzupasse­n.

 ?? FOTO: F. KERN/IMAGO ??
FOTO: F. KERN/IMAGO

Newspapers in German

Newspapers from Germany