Rheinische Post Langenfeld

Die Hoffnung auf Wunder

Julia Hoefer und Eva Leroy standen mitten im Leben, als sie die Diagnose Lungenkreb­s aus der Bahn warf. Nun leben sie dank moderner Medikament­e schon einige Jahre mit der Krankheit. Mit einem Buch möchten die beiden Frauen anderen Familien Mut machen.

- VON REGINA HARTLEB

Eingeladen hat ihn niemand. Er ist einfach eines Tages eingezogen: der ungebetene Mitbewohne­r namens Krebs. Hat sich dreist reingedrän­gelt in das unbeschwer­te Familienle­ben. Und das Schlimmste daran: Er wird nie wieder ausziehen. Er bleibt. Für immer.

Kann man mit einer solchen Schockdiag­nose überhaupt weiterlebe­n? Man muss. Aber wie? Wie verkraftet ein Mensch es, wenn ihm mitten im Leben gesagt wird: Du bist unheilbar krank, der Tod wohnt in dir. Und wie verkraften es der Partner, die Kinder? Wie lebt man als Familie weiter, ohne unterzugeh­en?

Diesen und unendlich vielen Fragen mehr müssen sich Eva Leroy und Julia Hoefer Tag für Tag gemeinsam mit ihren Familien neu stellen. Vor rund einem halben Jahr haben mir die beiden Frauen ihre Geschichte erzählt (Julia Hoefer hieß damals noch Mittelstae­dt). Sie waren Ende 30 und Mitte 40, als sie die Diagnose Lungenkreb­s im Endstadium aus dem Leben riss. Ihr Rettungsan­ker bis heute ist der Umstand, dass sie eine ganz spezielle Form von Lungenkreb­s haben, eine sogenannte ALK-Mutation. Das Besondere: Mit bestimmten Medikament­en lässt sich der Verlauf der Erkrankung verzögern. Heilung gibt es in diesem späten Lungenkreb­s-Stadium nach aktuellen Erkenntnis­sen nicht.

Acht beziehungs­weise fünf Jahre leben Leroy und Hoefer nun schon mit dem Krebs. Sie wissen längst: Die eine Antwort auf all die Fragen gibt es nicht. Und jeder Betroffene hat seine ganz eigene Art und Lebenssitu­ation, damit umzugehen. Den Kopf in den Sand stecken? Das war für Eva Leroy und Julia Hoefer nie eine Option. Schon bei unserem ersten Treffen haben sie von ihrer

Idee für ein gemeinsame­s Buch erzählt. Dass sie all denen Mut machen wollen, die ein ähnliches Schicksal teilen wie sie.

Ihr Verspreche­n, sich zu melden, wenn es fertig ist, haben sie gehalten. „Ich träume von einem Wunder“heißt das kostenlose Werk, das mit Unterstütz­ung des Bundesverb­andes Selbsthilf­e Lungenkreb­s entstanden ist. „Es ist ein Angebot an alle Menschen, die an einem metastasie­renden Krebs erkrankt sind“, erklärt Eva Leroy.

Die Ich-Erzählerin ist die etwa zehnjährig­e Tochter, deren Mama eines Tages die Diagnose bekommt: Krebs im Endstadium. Sie erzählt, wie sie das erste Mal im Krankenhau­s davon hört, wie sie langsam begreift, wie schlimm es um die Mutter steht. Wie der kleine Bruder fröhlich der Nachbarin erzählt: „Mama geht‘s gut. Sie hat Krebs“. Er spricht von „Metahasen“statt Metastasen. Er versteht die Dimension der Diagnose natürlich noch nicht. Seine ältere Schwester ahnt sie. „Wenn die (Metahasen) da sind, wird es richtig schwer, den Krebs zu heilen. Und manchmal ist er gar nicht mehr heilbar, wie bei Mama.“

Wer Kinder hat, der erkennt sofort: Die Autorinnen haben die richtigen Worte und Bilder gefunden. Für den Moment, in dem sich das Leben für immer auf eine dramatisch­e Weise ändert. Für die Zeit der anfänglich­en Schockstar­re, der Trauer und Angst vor dem, was kommt. Für das Warten, Hoffen und Bangen, wenn mal wieder eine Untersuchu­ng ansteht. Für die Sorge, wenn Mama einen schlechten Tag hat. Und für die Angst vor dem Tag, an dem „Für immer“enden wird.

„Wir wollten bewusst nichts beschönige­n“, sagt Eva Leroy. „Lange nachdenken mussten wir eigentlich nicht über die richtigen Worte“, sagt Julia Hoefer. „Nur das passende Ende zu finden war schwer.“Beide freuen sich, dass ihr Projekt nun endlich fertig ist.

Kennengele­rnt haben sich die beiden Frauen über eine FacebookGr­uppe für Lungenkreb­skranke mit der ALK-Mutation. Sie freundeten sich bei gemeinsame­n Spaziergän­gen mit den Hunden an. „2022 kam uns dann die Idee, zusammen ein Buch zu machen für alle Betroffene und ihre Familien, die in dieser Situation sind und in diesem per

manenten Auf und Ab zwischen Hoffnung und Ängsten leben müssen“, sagt Leroy. Sie malte die Bilder, Hoefer schrieb den Text.

Und aus noch einem Grund ist dieses Buch ein besonderes: „Es ist das erste Buch, an dessen Ende Menschen weder gesund werden noch sterben. Es beschreibt diesen eigenartig­en Schwebezus­tand, in dem man vom Tag der Diagnose an weiterlebe­n muss“, erklärt Hoefer. Ein Zustand, in dem dank fortschrei­tender Therapien künftig immer mehr krebskrank­e Menschen sein könnten und für den es noch „gar keine Literatur“gebe.

Bei allen traurigen und beklemmend­en Situatione­n ist dies vor allem auch ein Buch über die Liebe, die alle und alles zusammenhä­lt. Über das Glück schöner Momente. Und über den Spaß, wenn alle gemeinsam Witze über den blöden Krebs reißen: „Nicht nur Medikament­e können Krebs klein machen, stellen wir fest, Lachen kann es auch. Spaß und Freude und glücklich sein – das kann Krebs alles nicht leiden, da verkrümelt er sich in die hintersten Ecken, ist ihm viel zu laut.“

Dieses Buch feiert das Leben und die Hoffnung, es ergibt sich nicht dem Tod. Und das Ende könnte ebenso gut ein Anfang sein, wenn es heißt: „Auf wie viele Wunder darf man hoffen? – Auf so viele, wie man will!“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Die Autorinnen (v.l.): Julia Hoefer (ehemals Mittelstae­dt) und Eva Leroy .

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