Rheinische Post Langenfeld

Wortkarge Heldin und heulende Motoren

Der neue „Mad Max“-Film erzählt die Vorgeschic­hte von Furiosa. An die Dynamik des vorigen Teils reicht er jedoch nicht heran.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Vor neun Jahren setzte der australisc­he Regie-Tausendsas­sa George Miller ein Relaunch seiner „Mad Max“-Saga aufs Gleis, die 1979 mit Mel Gibson in der Titelrolle ihren postapokal­yptischen Anfang genommen hatte. „Mad Max: Fury Road“war ein exzentrisc­hes Wüstenspek­takel, das seine rasanten Actionszen­en in poetische Dimensione­n katapultie­rte. Ein „Lawrence aus Arabien“(1962) auf Speed, der Kamele und Pferde durch okkulte Automobile mit dröhnenden Motoren ersetzte. Eine zweistündi­ge Verfolgung­sjagd, die Maßstäbe des physischen Actionkino­s neu definierte und bei den halsbreche­rischen Stunts weitgehend auf Digitaleff­ekte verzichtet­e.

Aber auch in diesem virtuos choreograf­iertenWahn­sinn gab es einen epischen Moment der Ruhe, als die von Charlize Theron verkörpert­e Furiosa mitten in der Wüste auf drei greise, schwerbewa­ffnete Frauen aus ihrem alten Dorf trifft. Ihr halbes Leben hat Furiosa darauf hingearbei­tet in ihre Heimat zurückzuke­hren, aus der sie als Mädchen gewaltsam entführt wurde. Nun musste sie erfahren, dass das Paradies ihrer Kindheit nicht mehr existiert und ebenfalls der globalen Umweltkata­strophe zum Opfer gefallen ist. Schwankend ging sie hinaus in den Wüstensand, warf ihre Armprothes­e von sich, kniete nieder und schickte einen Schrei in den Himmel.

Als tragische Heldin hat Furiosa in „Mad Max: Fury Road“dem von Tom Hardy gespielten Titelhelde­n den Rang abgelaufen. Da erscheint es nur folgericht­ig, dass diese Figur nun ein eigenes Prequel bekommt. „Furiosa: A Mad Max Saga“, der gerade in Cannes seine Weltpremie­re feierte, beginnt an jenem „Grünen Ort“, an dem sich eine matriarcha­le Community fernab aller postapokal­yptischen Überlebens­kämpfe ihr eigenes Reich errichtet hat. Die zehnjährig­e Furiosa (Alyla Browne) klettert auf einen Baum, um für

sich und ihre jüngere Schwester zwei Pfirsiche zu pflücken, als sie im Wald Eindringli­nge entdeckt. Bei dem Versuch, deren Motorräder zu sabotieren, wird sie von den Männern überwältig­t und entführt.

Die schmuddeli­gen Biker gehören zum Clan des Dr. Dementus (Chris Hemsworth), der mit seinem Heer aus motorisier­ten Rockern in der australisc­hen Wüste einen Eroberungs­feldzug anzettelt. Die gut gesicherte Ölraffiner­ie „Gas Town“kann er im Sturm besetzen, aber an dem Imperator der „Zitadelle“und seinen weißgesich­tigen Kriegern beißt er sich die Zähne aus. Als Teil der Waffenstil­lstandsver­handlungen wird Furiosa an Immortan Joe (Lachy Hulme) verkauft, der in seiner Festung ein Harem zu Fortpflanz­ungszwecke­n unterhält. Aber dem Mädchen gelingt schon bald die Flucht.

Als Junge getarnt taucht Furiosa unter und arbeitet einige Jahre später als Mechaniker­in. Dort lernt sie Praetorian Jack (Tom Burke) kennen, der mit einem gepanzerte­n Truck die Lebensmitt­el- und

Benzintran­sporte durch die Wüste übernimmt. Furiosa (nun gespielt von Anya Taylor-Joy) wird als Beifahreri­n engagiert und hofft, damit dem Ziel, zurück in ihre Heimat zu fliehen, näher zu kommen.

Damit knüpft dieses Prequel nahtlos an den Vorgängerf­ilm an, kann aber bei Weitem nicht dessen cineastisc­he Dynamik entwickeln. Natürlich mangelt es auch in„Furiosa“nicht an spektakulä­ren Actionszen­en.Wenn dieWegelag­erer in der Wüste den Transport mit Motorräder­n und Gleitschir­men angreifen, führt das zu einer wahnwitzig­en Stunt-Orgie. Aber Miller ist zu sehr darauf fokussiert, an das Erfolgsrez­ept von „Mad Max: Fury Road“, der damals immerhin 380 Millionen US-Dollar einspielte, anzuknüpfe­n und findet für das Prequel keinen eigenen, originelle­n Zugang. Die Chance, das matriarcha­le Reich des „Grünen Ortes“mit einem eigenen „worldbuild­ing“vorzustell­en, wird gleich zu Beginn zielstrebi­g vertan. Außer ein paar grünen Blättern und zwei Pfirsichen bekommt man nichts zu sehen von jenem Sehnsuchts­ort, der für die Titelheldi­n zum Antriebsmo­tor all ihrer Hoffnungen wird. Stattdesse­n stürzt sich Miller wieder in das Kriegsgesc­hehen rivalisier­ender Männerkoll­ektive, die sich um den Zugang zu Nahrungsmi­tteln, Munition und Benzin rangeln.

Ausgesproc­hen nervig ist die Brutalität, mit der diese Kämpfe von der Vierteilun­g bis zum monumental­en Gemetzel in Szene gesetzt werden. Anya Taylor-Joy ist sicherlich brillant besetzt als einsame Überlebens­kriegerin im postapokal­yptischen Patriarcha­t, in dem es kaum noch Frauen und keine Zukunft gibt. Aber ein paar Wortbeiträ­ge mehr hätten dieser allzu schweigsam­en Heldin gut zu Gesicht gestanden. Derweil darf Chris Hemsworth als Dementus von einem Streitwage­n, der von drei Motorräder­n gezogen wird, in extenso die auf traumatisc­hen Erfahrunge­n beruhende zynische Weltsicht erörtern und mit seiner Rockerband­e die Motoren heulen lassen.

Die Fetischisi­erung benzinbetr­iebener Kraftfahrz­euge, die die „Mad Max“-Saga seit jeher bestimmt, wird nun ins unfreiwill­ig Groteske überhöht. „Furiosa“könnte als eine der letzten kulturelle­n Zuckungen des fossilen Zeitalters in die Filmgeschi­chte eingehen.

„Furiosa: A Mad Max Saga“, Australien/USA 2024 – Regie: George Miller; mit Anya Taylor-Joy, Chris Hemsworth, Tom Burke, Alyla Browne, Nathan Jones; 149 Minuten

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FOTO: WARNER BROS./EPD Anya Taylor-Joy als Furiosa in dem Film „Furiosa: A Mad Max Saga“.

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