Kriegsende in Düsseldorf
Klas Ewert Everwyn legt in dieser Woche seine Novelle über die letzten Kriegstage in Düsseldorf vor. Wir haben das Buch bereits gelesen.
Zu seinem 85. Geburtstag also eine Novelle. Eine mit historischem Hintergrund und aus einer Zeit, die Klas Ewert Everwyn selbst erlebt hat und erleiden musste: Als 15-jähriger Flakhelfer überstand er im Bergischen mit reichlich Glück das Ende des Zweiten Weltkriegs. Sieben Jahrzehnte später ist der vielfach ausgezeichnete Düsseldorfer Autor schreibend in die Zeit des Zusammenbruchs zurückgekehrt – aber weniger autobiografisch, sondern vielmehr als Chronist der letzten Kriegstage seiner Heimatstadt Düsseldorf.
Der Erzählstoff lag für den Schriftsteller praktisch gleich vor der eigenen Haustür. Denn aus seinem Unterbilker Arbeitszimmer in der fünften Etage kann er das Düsseldorfer Polizeipräsidium sehen. Damit hat er genau jenen Schauplatz im Blick, an dem sich das Schicksal Düsseldorfs mitentschied und das in Franz Jürgens eine tragische Figur fand. Jürgens, damals Kommandeur der Ordnungspolizei, hatte im April 1945 erkannt, dass es auch militärisch völlig sinnlos war, Düsseldorf verteidigen zu wollen.
Also handelte Jürgens und ließ den regimetreuen Polizeipräsidenten Korreng verhaften. Sein Ziel: Düsseldorf sollte kampflos – also ohne weitere Opfer – den amerikanischen Truppen übergeben werden. Zwei Parlamentarier – Karl August Wiedenhofen und Aloys Odenthal – schickte er mit weißer Fahne den amerikanischen Truppen entgegen.
Bis dahin ist es die Geschichte, die von der Courage eines Einzelnen und dem Glück einer Stadt erzählt. Doch das Schicksal von Franz Jürgens wendete sich: Karl Brumshagen, Oberstleutnant der Schutzpolizei, stellte Jürgens am 16. April im Park-Hotel am Hofgarten vors Standgericht und verurteilte ihn wegen „Aufruhr im Felde“zum Tode. Noch am selben Abend wurde im Hof der Berufsschule an der Färberstraße das Urteil vollstreckt. Am nächsten Tag rückten amerikanische Truppen in Düsseldorf ein.
Wahrscheinlich ist Jürgens kein „Held“gewesen. Er war auch mehr Soldat als Polizist und eher Karrierist als Ideologe. Jürgens, 1933 schon in die NSDAP eingetreten, war ein klassischer, aber nicht schuldloser Mitläufer, dem die Pflicht fast alles galt, der aber, als es darauf ankam, seinen Menschenverstand walten ließ. Klas Ewert Everwyn zeichnet kein Psychogramm dieses Mannes; er erzählt die Geschichte so, wie sie sich zugetragen haben könnte, unprätentiös, unpathetisch. Jeder versucht seine Haut zu retten, aber nur wenige glauben, auch noch fürs Reich kämpfen zu müssen. Dazwischen gerät Jürgens, dessen Wandlung sich in wenigen Tagen vollzieht: In dem Pflichterfüller erwacht ein Mensch, der hinter der Pflicht plötzlich auch den Sinn zu befragen beginnt. Jürgens findet für sich darauf eine Antwort, und er handelt dann ebenso rigoros, wie er es zuvor im Polizeidienst wohl auch getan hat.
Diese Brüche machen den Menschen so interessant. Und es ist gut, dass Klas Ewert Everwyn dem Leser keine Erklärungen liefert, sondern den Polizisten als literarische Figur neu erschafft und ihm auf diese Weise eine Eigenständigkeit bewahrt. Die Novelle „Der Opfergang des Polizisten Franz Jürgens“beschreibt eine Zeit des totalen Zusammenbruchs. Tage und Wochen, in denen jeder auf sich allein gestellt war. Nur wenige dachten ans Gemeinwohl. Der Polizist Franz Jürgens war einer der wenigen.