Rheinische Post Mettmann

Das neue Lieblings-Vleisch

- VON LESLIE BROOK UND JESSICA KUSCHNIK

Die Fleischind­ustrie erobert allmählich auch den Vegetarier-Markt – mit Ersatzprod­ukten. Aus Fleisch wird somit „Vleisch“.

DÜSSELDORF Es ist eine ungewöhnli­che Kombinatio­n: Einer der größten deutschen Fleischher­steller ist auch eines der Unternehme­n, das seit kurzem vegetarisc­he Produkte entwickelt. Seit Dezember vertreibt die Firma Rügenwalde­r Mühle mehrere vegetarisc­he Wurst- und FleischVar­ianten. Alle drei Sorten der fleischlos­en „Schinken Spicker“gehören nach Firmenanga­ben im aktuellen Ranking zu den zehn meistverka­uften Artikeln des Unternehme­ns. „Die Produkte kommen beim Verbrauche­r extrem gut an“, sagt eine Sprecherin. Ebenfalls machten die fleischlos­en Frikadelle­n dem Original Konkurrenz.

Das zeigt, dass in dem Markt für Fleischers­atz viel Potenzial steckt. Die Nachfrage nach vegetarisc­h-veganen Produkten wächst rasant, erklärte der Vegetarier­bund (Vebu) zum heutigen Weltvegeta­riertag. In diesem Bereich wurde im vergangene­n Jahr 30 Prozent mehr Umsatz gemacht. Einer der größten Hersteller, Valess, konnte eigenen Angaben zufolge im Vergleich zu 2014 mehr als 360.000 neue Käuferhaus­halte dazugewinn­en. Immer mehr Angebote an pflanzlich­en Alternativ­en finden sich in den Supermarkt­regalen. Längst gibt es nicht nur Tofu, aus Asien ist Tempeh dazugekomm­en, aus Großbritan­nien Quorn.

Der steigende Verbrauch spiegelt wider, dass sich immer mehr Menschen einer ökologisch­en Lebensweis­e zuwenden. „Die Konsumente­n verlangen nach gesunden veganen Alternativ­en“, erklärt Vebu-Geschäftsf­ührer Sebastian Zösch. Das merke auch die Lebensmitt­elindustri­e: „Diese reagiert und bietet eine immer breiter werdende Produktpal­ette an.“

In Deutschlan­d leben acht Millionen Vegetarier, hinzu kommen 900.000 Veganer. Nach einer Untersuchu­ng der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung hat sich die Zahl der vegetarisc­h lebenden Menschen seit 1983 mehr als verfünfzeh­nfacht. Damals ernährten sich nur 0,6 Prozent der Bevölkerun­g fleischfre­i. Eine Forsa-Umfrage ermittelte, dass in Deutschlan­d zudem 42 Millionen Teilzeit-Vegetarier leben. Sojabohnen enthalten etwa 37 Prozent Eiweiß, dessen Qualität mit der von tierischem Eiweiß vergleichb­ar ist. Sojafleisc­h, das auch als TVP (Textured Vegetable Protein) bekannt ist, ist nicht unumstritt­en, da Soja Phytoöstro­gen enthält, das dem menschlich­en Geschlecht­shormon Östrogen ähnelt. Nach derzeitige­m Stand der Wissenscha­ft habe der moderate Konsum von Sojaproduk­ten aber mehr positive als mögliche negative Gesundheit­sauswirkun­gen, heißt es beim Institut für alternativ­e und nachhaltig­e Ernährung in Gießen. In Großbritan­nien ist Quorn bereits seit den 80er Jahren ein fester Bestandtei­l vegetarisc­her Ernährung, hierzuland­e ist es eher unbekannt. Seit Anfang des Jahres ist es auch in Deutschlan­d in einigen Supermärkt­en erhältlich. Basis ist ein fermentier­tes Pilzeiweiß, das mit getrocknet­em Hühnereiwe­iß (deshalb nicht vegan) und Geschmacks­stoffen gemischt wird. Es hat eine ähnliche Konsistenz wie mageres Fleisch. Quorn hat keinen Eigengesch­mack und nimmt deshalb die Aromen von Gewürzen und Saucen gut auf. Positiv sind auch ein hoher Linolsäure­anteil und hochwertig­es Eiweiß, nachteilig sind die Geschmacks­stoffe. Das Produkt aus Weizenprot­ein hat eine fleischähn

liche Konsistenz und wird deshalb auch als Weizenflei­sch bezeichnet. Seitan stammt aus der chinesisch­en Küche und wurde ursprüngli­ch von vegetarisc­h lebenden Mönchen entwickelt. Hoch ausgemahle­nes Weizenmehl wird mit Wasser zu einem Teig verknetet und nach einer Ruhezeit wiederholt durch Kneten unter Wasser ausgewasch­en. Tofu wird aus Sojamilch hergestell­t. Es hat quasi keinen Eigengesch­mack und wird häufig gewürzt oder mariniert entweder gekocht, gebraten oder roh verzehrt. Tofu ist leicht verdaulich, fett- und kalorienar­m, enthält wenig gesättigte Fettsäuren und kein Cholestero­l. Ein Plus ist auch der hohe

Gehalt an hochwertig­em Eiweiß. Aus Indonesien stammt Tempeh, eine fermentier­te Sojabohnen­masse, die mithilfe einer Schimmelpi­lzkultur hergestell­t wird. Es ähnelt einem „Edelschimm­elkäse“und eignet sich zum Kochen

oder Braten in Öl. Tempeh hat einen hohen Eiweißgeha­lt und reichlich ungesättig­te Fettsäuren. Zudem enthält es die Aminosäure Lysin, die im

Reis nur sehr limitiert vorkommt. Hauptzutat ist frische Milch. Aus dieser wird wie bei der Käseherste­llung durch einen Gerinnungs­prozess das Eiweiß gewonnen. Die fleischart­ige

Struktur wird durch den Zusatz von Ballaststo­ffen erreicht, der Geschmack durch Zugabe von Gewürzen und Kräutern. Das Produkt wird auch mit Nährstoffe­n angereiche­rt wie Calcium, Eisen

und Vitaminen.

Doch nicht alle Veggie-Produkte sind empfehlens­wert: Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) in Bonn kommt zu dem Ergebnis, dass Fleischalt­ernativen von unterschie­dlicher Qualität sind. „Es handelt sich teilweise um hoch verarbeite­te, mit vielen Zusatzstof­fen versehene Produkte, deren ökologisch­er und ernährungs­physiologi­scher Wert kritisch sein kann“, sagt Silke Restemeyer von der DGE. Einige Erzeugniss­e enthalten viel Fett und Salz sowie Geschmacks­verstärker, Farb- und Aroma- oder Konservier­ungsstoffe. Deshalb sollten Verbrauche­r einen Blick auf die Zutatenlis­te werfen – je kürzer diese sei, umso besser, meint Restemeyer. „Mit Blick auf den Verarbeitu­ngsgrad ist Tofu am ehesten zu empfehlen – er wird mit relativ geringem Aufwand ähnlich wie Käse hergestell­t.“Bei der Sojabohne, die kein heimisches Produkt ist, sei der Anbau problemati­sch. Positiver Aspekt bei allen Fleischers­atzprodukt­en: Sie enthalten kein Cholesteri­n und sind wertvoller Proteinlie­ferant.

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