Das neue Lieblings-Vleisch
Die Fleischindustrie erobert allmählich auch den Vegetarier-Markt – mit Ersatzprodukten. Aus Fleisch wird somit „Vleisch“.
DÜSSELDORF Es ist eine ungewöhnliche Kombination: Einer der größten deutschen Fleischhersteller ist auch eines der Unternehmen, das seit kurzem vegetarische Produkte entwickelt. Seit Dezember vertreibt die Firma Rügenwalder Mühle mehrere vegetarische Wurst- und FleischVarianten. Alle drei Sorten der fleischlosen „Schinken Spicker“gehören nach Firmenangaben im aktuellen Ranking zu den zehn meistverkauften Artikeln des Unternehmens. „Die Produkte kommen beim Verbraucher extrem gut an“, sagt eine Sprecherin. Ebenfalls machten die fleischlosen Frikadellen dem Original Konkurrenz.
Das zeigt, dass in dem Markt für Fleischersatz viel Potenzial steckt. Die Nachfrage nach vegetarisch-veganen Produkten wächst rasant, erklärte der Vegetarierbund (Vebu) zum heutigen Weltvegetariertag. In diesem Bereich wurde im vergangenen Jahr 30 Prozent mehr Umsatz gemacht. Einer der größten Hersteller, Valess, konnte eigenen Angaben zufolge im Vergleich zu 2014 mehr als 360.000 neue Käuferhaushalte dazugewinnen. Immer mehr Angebote an pflanzlichen Alternativen finden sich in den Supermarktregalen. Längst gibt es nicht nur Tofu, aus Asien ist Tempeh dazugekommen, aus Großbritannien Quorn.
Der steigende Verbrauch spiegelt wider, dass sich immer mehr Menschen einer ökologischen Lebensweise zuwenden. „Die Konsumenten verlangen nach gesunden veganen Alternativen“, erklärt Vebu-Geschäftsführer Sebastian Zösch. Das merke auch die Lebensmittelindustrie: „Diese reagiert und bietet eine immer breiter werdende Produktpalette an.“
In Deutschland leben acht Millionen Vegetarier, hinzu kommen 900.000 Veganer. Nach einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung hat sich die Zahl der vegetarisch lebenden Menschen seit 1983 mehr als verfünfzehnfacht. Damals ernährten sich nur 0,6 Prozent der Bevölkerung fleischfrei. Eine Forsa-Umfrage ermittelte, dass in Deutschland zudem 42 Millionen Teilzeit-Vegetarier leben. Sojabohnen enthalten etwa 37 Prozent Eiweiß, dessen Qualität mit der von tierischem Eiweiß vergleichbar ist. Sojafleisch, das auch als TVP (Textured Vegetable Protein) bekannt ist, ist nicht unumstritten, da Soja Phytoöstrogen enthält, das dem menschlichen Geschlechtshormon Östrogen ähnelt. Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft habe der moderate Konsum von Sojaprodukten aber mehr positive als mögliche negative Gesundheitsauswirkungen, heißt es beim Institut für alternative und nachhaltige Ernährung in Gießen. In Großbritannien ist Quorn bereits seit den 80er Jahren ein fester Bestandteil vegetarischer Ernährung, hierzulande ist es eher unbekannt. Seit Anfang des Jahres ist es auch in Deutschland in einigen Supermärkten erhältlich. Basis ist ein fermentiertes Pilzeiweiß, das mit getrocknetem Hühnereiweiß (deshalb nicht vegan) und Geschmacksstoffen gemischt wird. Es hat eine ähnliche Konsistenz wie mageres Fleisch. Quorn hat keinen Eigengeschmack und nimmt deshalb die Aromen von Gewürzen und Saucen gut auf. Positiv sind auch ein hoher Linolsäureanteil und hochwertiges Eiweiß, nachteilig sind die Geschmacksstoffe. Das Produkt aus Weizenprotein hat eine fleischähn
liche Konsistenz und wird deshalb auch als Weizenfleisch bezeichnet. Seitan stammt aus der chinesischen Küche und wurde ursprünglich von vegetarisch lebenden Mönchen entwickelt. Hoch ausgemahlenes Weizenmehl wird mit Wasser zu einem Teig verknetet und nach einer Ruhezeit wiederholt durch Kneten unter Wasser ausgewaschen. Tofu wird aus Sojamilch hergestellt. Es hat quasi keinen Eigengeschmack und wird häufig gewürzt oder mariniert entweder gekocht, gebraten oder roh verzehrt. Tofu ist leicht verdaulich, fett- und kalorienarm, enthält wenig gesättigte Fettsäuren und kein Cholesterol. Ein Plus ist auch der hohe
Gehalt an hochwertigem Eiweiß. Aus Indonesien stammt Tempeh, eine fermentierte Sojabohnenmasse, die mithilfe einer Schimmelpilzkultur hergestellt wird. Es ähnelt einem „Edelschimmelkäse“und eignet sich zum Kochen
oder Braten in Öl. Tempeh hat einen hohen Eiweißgehalt und reichlich ungesättigte Fettsäuren. Zudem enthält es die Aminosäure Lysin, die im
Reis nur sehr limitiert vorkommt. Hauptzutat ist frische Milch. Aus dieser wird wie bei der Käseherstellung durch einen Gerinnungsprozess das Eiweiß gewonnen. Die fleischartige
Struktur wird durch den Zusatz von Ballaststoffen erreicht, der Geschmack durch Zugabe von Gewürzen und Kräutern. Das Produkt wird auch mit Nährstoffen angereichert wie Calcium, Eisen
und Vitaminen.
Doch nicht alle Veggie-Produkte sind empfehlenswert: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn kommt zu dem Ergebnis, dass Fleischalternativen von unterschiedlicher Qualität sind. „Es handelt sich teilweise um hoch verarbeitete, mit vielen Zusatzstoffen versehene Produkte, deren ökologischer und ernährungsphysiologischer Wert kritisch sein kann“, sagt Silke Restemeyer von der DGE. Einige Erzeugnisse enthalten viel Fett und Salz sowie Geschmacksverstärker, Farb- und Aroma- oder Konservierungsstoffe. Deshalb sollten Verbraucher einen Blick auf die Zutatenliste werfen – je kürzer diese sei, umso besser, meint Restemeyer. „Mit Blick auf den Verarbeitungsgrad ist Tofu am ehesten zu empfehlen – er wird mit relativ geringem Aufwand ähnlich wie Käse hergestellt.“Bei der Sojabohne, die kein heimisches Produkt ist, sei der Anbau problematisch. Positiver Aspekt bei allen Fleischersatzprodukten: Sie enthalten kein Cholesterin und sind wertvoller Proteinlieferant.