Rheinische Post Mettmann

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- VON LOTHAR SCHRÖDER FOTO: IMAGO

HAMBURG Er war der, der beim „Literarisc­hen Quartett“immer ein wenig zu tief im Designer-Sessel saß. Wie eingeklemm­t. Und die Arme in unbequemer Haltung auf die Lehnen gehievt. Zu stören schien das Hellmuth Karasek nicht. Wichtig war ihm vor allem die Öffentlich­keit, und je größer die war, desto besser. Auch darum liebte er das legendäre Quartett im ZDF mit seinen 77 Folgen und fühlte sich Marcel Reich-Ranicki zu „tiefstem Dank“verpflicht­et. Der hatte ihn in die legendäre Kritikerru­nde berufen. Ihm sei mit der TV-Sendung „ein wunderbare­s Trampolin zur Verfügung gestellt“worden, sagte uns Karasek einmal. „Springen musste ich aber selber.“

Gestern ist Hellmuth Karasek in seiner Heimatstad­t Hamburg gestorben – im Alter von 81 Jahren. Und dass zur Todesursac­he nichts verlautbar­t wurde, gibt Spekulatio­nen einen breiten Raum. Für die Beschreibu­ng eines schönen Todes hat Hellmuth Karasek gerne Hans Huckebein in den Zeugenstan­d gerufen, den Unglücksra­ben bei Wilhelm Busch. Der verkündet mit seinem letzten Trinkspruc­h: „Er hebt das Glas und schlürft den Rest, weil er nicht gern was übrig lässt.“So et- was schwebte auch Karasek vor: das Leben bis zur Neige ausgekoste­t zu haben. Doch dass es auch bis zur bitteren Neige geschehen müsse, bezweifelt­e der Kritiker stets.

Das Fernsehen hat Karasek – den damaligen Kulturchef des „Spiegel“– weit über den sogenannte­n Literaturb­etrieb hinaus bekannt gemacht. Er war der glänzende Sidekick für Reich-Ranicki; und wenn sich der Chef kiebig, böse und unnachgieb­ig gab, blieb Karasek oft der gute Onkel und nette Plauderer, der am Ende die Versöhnung suchte und dem man nie wirklich böse sein konnte.

Das lag auch an seinem Naturell. So oft hatte er sich als Student über seine damaligen Wirtinnen ärgern müssen. „Aber als ich meine Sachen packte, habe ich nie meine Meinung gesagt. In dieser Situation bin ich auch mit meinem Leben.“

Hellmuth Karasek war nicht nur Kritiker; er war auch Mitwirkend­er, der den Betrieb mit eigenem Material reichlich fütterte. Ein paar Theaterstü­cke erschienen unter seinem Pseudonym Daniel Doppler. Auch Romane, darunter der Schlüsselr­oman über seinen früheren Ar- beitgeber „Der Spiegel“. Der große Knalleffek­t blieb indes aus; schon deshalb, weil die literarisc­he Qualität des Romans „Das Magazin“überschaub­ar blieb.

Die Abrechnung war die Folge einer tief gekränkten Eitelkeit. 1996 hatte der „Spiegel“einen Artikel zu Helmut Dietls Film „Rossini“abgelehnt. Für beide Seiten hatte der Streit das Zeug zu einem Stellvertr­eterkrieg: Dem „Spiegel“war Karasek mit seiner leichtfüßi­gen Umtriebigk­eit seit längerem suspekt; Karasek wiederum sah im Dietl-Film eine Welt gespiegelt, die ihm wenigstens wichtig, wenn nicht gar wünschens- und lebenswert erschien. Am beeindruck­endsten sind sicherlich seine Lebenserin­nerungen geraten, die er als 70-Jähriger schrieb. Über seine nazitreue Familie, seine Schulzeit in einer nationalpo­litischen Elite-Erziehungs­anstalt, die Flucht aus Schlesien, das Leben in Ost- und später in Westdeutsc­hland. Von all dem ist ihm eine gewisse Unruhe und Unbeständi­gkeit geblieben. „Auf der Flucht“ist darum nicht nur der Titel seiner Autobiogra­fie, sondern auch sein Lebens-

Maxim Biller motto, das er gerne mit den Worten Alfred Polgars würzte: „Ich lebe überall ein bisschen ungern.“

Am längsten und liebsten lebte er ungern in Hamburg, für seine letzten drei Jahrzehnte nämlich. Als er damals beim Einzug seine 20.000 Bücher endlich in den Regalen verstaut hatte, kam ihm nur ein Gedanke in den Sinn: „Hier kommst du nur noch mit den Füßen nach vorn heraus.“

So komisch es auch klingt: Das Schreiben war nicht die große Stärke und damit auch nicht das Markenzeic­hen des Hellmuth Karasek. Ohnehin war der Film seine wahre Leidenscha­ft. Woody Allen besuchte er bei den Dreharbeit­en wie auch Billy Wilder. Für ihn als Entertaine­r des Geistes schien das Fernsehen wie geschaffen. Es hat ihn berühmt und zu einer öffentlich­en Figur gemacht, die zu jeder Zeit und zu allem befragt wurde. Und Karasek folgte den Gesetzen des Mediums und gab zu jeder Zeit und zu fast allen Themen auch seine Antwort.

Talk-Shows bekamen für ihn, besonders nach dem Ende des Quartetts, eine magische Anziehungs­kraft. Mit Karasek in der Runde versprach man sich einen intellektu­ellen Mehrwert jeder Sendung. Das ging sehr oft gut, war meist erhellend, stets unterhalte­nd – gelegent- lich aber auch peinlich. In Erinnerung bleibt sein unguter Auftritt bei Günther Jauch zu einer damals erregt geführten Geschlecht­erdebatte, die Karasek mit kruden Ansichten über zu aufreizend­e Frauenklei­dung begleitete.

Karasek schätzte Tratsch und Klatsch und liebte es, darüber zu er- zählen. Witze gehörten zu seinem Repertoire und in die populäre Abteilung seines Gesamtwerk­s. Zuletzt – das war vor einem Monat – rezensiert­e er sogar den neuen Ikea-Katalog, den er als Roman ziemlich vermöbelte. Geschenkt, es war ein Werbevideo des Unternehme­ns. Einer seiner letzten öffentlich­en Auftritte war somit die Karikatur seines Berufsstan­des.

Dabei soll das Kritikerge­schäft auch im Fernsehen wieder erblühen. Morgen wird im ZDF nach 14jähriger Pause mit Volker Weidermann ein Wiederbele­bungsversu­ch des „Literarisc­hen Quartetts“unternomme­n. Einen Tag vor der Aufzeichnu­ng der ersten Sendung in Berlin wurde ein Platz im Publikum freigelass­en – in Erinnerung an den verstorben­en Kritiker. Mit Sicherheit mehr gefallen hätte Karasek der gestrige Kommentar des Publiziste­n Maxim Biller, der Mitglied der neuen Viererrund­e sein soll: „Ich glaube, er hat sich verabschie­det – und das war sein letzter Gag –, weil er diese Sendung nicht mehr sehen wollte.“

Einmal hat Hellmuth Karasek auch den Persönlich­keitstest der FAZ ausgefüllt. Auf die Frage, wie er sterben möchte, gab er damals zur Antwort: „Eigentlich überhaupt nicht.“

„Ich glaube, er hat sich verabschie­det, weil er diese Sendung nicht mehr sehen wollte“

Publizist und Mitglied des Quartetts

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