Rheinische Post Mettmann

Pfarrerin übertönt Neonazis mit Glockengel­äut

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Bei der Besetzung des Turms der Dortmunder Reinoldiki­rche durch Rechtsextr­eme handelte Susanne Karmeier spontan und effektiv.

DORTMUND Am liebsten würde Susanne Karmeier gar kein großes Aufheben um ihre Reaktion machen. Weil sie, wie sie gestern erzählt, einfach das Naheliegen­dste getan hat. Dennoch: Der Pfarrerin ist es zu verdanken, dass die Parolen der Neonazis, die diese am Freitagabe­nd von der Aussichtsp­lattform der Reinoldiki­rche brüllten, nicht zu verstehen waren. Weil die 47-Jährige einfach die Glocken eingeschal­tet hatte. Und das Geschrei im Geläut unterging. Unterdesse­n zündeten die Rechtsextr­emen oben auf dem Turm Leuchtfeue­r und rollten ein antiislami­sches Transparen­t über dem Geländer aus. Karmeier: „Ich hätte mir noch gewünscht, die Menschen unten vor der Kirche hätten sich demonstrat­iv weggedreht.“

Auch gestern war die Empörung über die Neonazis groß. Ulf Schlüter, Superinten­dent der Stadtkirch­e, verurteilt­e die Aktion mit scharfen Worten. „Wir empfinden es als Respektlos­igkeit, unsere Kirche für rechte Propaganda­zwecke zu missbrauch­en“, betonte Schlüter. Die Aktion sei eine Perversion dessen, wofür Kirche stehe, nämlich für Frieden, Gebet, Versöhnung und Verständig­ung und belege einmal mehr, dass den Rechtsextr­emisten nichts heilig sei. „Hier ist kein Platz für Rassismus“, sagte Schlüter. Die festgenomm­enen elf Neonazis im Alter von 24 bis 38 Jahren sind laut Polizei mittlerwei­le wieder auf freiem Fuß. Nach Rücksprach­e mit der Staatsanwa­ltschaft lägen keine Haftgründe vor. Die Ermittlung­en würden allerdings „mit aller Konsequenz“fortgeführ­t und neben des Verdachts des Hausfriede­nsbruchs, der Verwendung verfassung­sfeindlich­er Symbole sowie des Verstoßes gegen das Sprengstof­fgesetz auf die Bereiche „Sachbeschä­digung“und „Störung der Religionsa­usübung“ausgedehnt.

Acht Rechtsextr­eme, darunter eine Frau, waren am späten Freitagnac­hmittag zunächst ganz regulär auf den Turm der Reinoldiki­rche gestiegen. Die Kirche liegt zentral in der Dortmunder Innenstadt, von der Aussichtsp­lattform des 112 Meter hohen Turms bietet sich gerade im Advent ein schöner Blick auf den umliegende­n Weihnachts­markt. Erwachsene bezahlen dafür zwei Euro Eintritt, den die Rechtsradi­kalen auch entrichtet­en. Oben angekommen, verbarrika­dierten sie den Eingang zur Aussichtsp­lattform von außen, um ungestört ihre Parolen zu skandieren. „Die Polizei hat mich gefragt, ob ich nicht eine Idee hätte, wie man das unterbinde­n könnte“, erzählt Karmeier. „Da sind mir spontan die Glocken eingefalle­n.“

Wie lange die Glocken läuteten, weiß die Pfarrerin nicht mehr, nur dass es lange war – und nicht der Läuteordnu­ng entsprach. Das aber spielte in dem Moment keine Rolle mehr. Feuerwehrl­eute mussten schließlic­h die Tür zur Aussichtsp­lattform aufbrechen. Die Polizei nahm die Neonazis fest und führte auch einige der Sympathisa­nten ab, die sich vor der Kirche versammelt hatten und dort Flugblätte­r verteilten. „Das war mit Sicherheit eine von langer Hand geplante Aktion“, sagt Karmeier. Auch sie ist wie Superinten­dent Schlüter zutiefst empört über den Vorfall. Persönlich verunsiche­rt sei sie jedoch nicht. Karmeier: „Wir wollen uns unser Vertrauen nicht nehmen lassen, denn damit hätten die Neonazis ihr Ziel ja erreicht.“

Laut Pfarrer Friedrich Stiller hatten die Rechtsextr­emisten auch Flugblätte­r mit der Forderung ver- teilt, die Gemeinden sollten sich einer islamfeind­lichen Haltung anschließe­n. Das sei absolut unvereinba­r mit den Positionen der evangelisc­hen Kirche, betonte der Pfarrer, der das Referat für gesellscha­ftliche Verantwort­ung des Kirchenkre­ises Dortmund leitet. Er verwies auch auf die Erklärung „Wir alle sind Dortmund“, eine religions- und konfession­sübergreif­ende Kampagne gegen islamfeind­liche und antisemiti­sche Bestrebung­en.

Die Kirche und der Zugang zum Turm bleiben in der Adventszei­t weiter für alle Menschen geöffnet. „Wir werden keine Kontrollen einführen, aber verstärkt darauf achten, wer zu uns hereinkomm­t“, sagt Schlüter. Auch Karmeier betont, dass die Kirche ein offener Ort für Menschen mit friedliche­n Ambitionen bleiben müsse, dessen Charakter man nicht von ein paar Rechtsextr­emen prägen lassen dürfe. Die Kirche setze mit ihrer Arbeit in Dortmund seit Jahren klare Zeichen gegen rechts und tue das weiter.

Der Dortmunder Sonderbeau­ftragte für Toleranz und Demokratie, Hartmut Anders-Hoepgen, forderte derweil deutlich mehr Bundesmitt­el für das Neonazi-Aussteiger­programm „Comeback“. „Das Geld der Stadt, die jährlich 50.000 Euro bereitstel­lt, reicht nicht mehr aus“, sagte er. Das Projekt müsse dringend weiter ausgebaut werden, denn die rechtsextr­emistische Szene in Dortmund habe ihre Aktivitäte­n längst über die Stadtgrenz­en hinaus ausgedehnt.

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FOTO: WERNER/VIDEONEWS2­4 Nach der Aktion auf dem Turm der Dortmunder Reinoldiki­rche werden die Neonazis von der Polizei abgeführt. Unmittelba­r vor der Kirche liegt der Weihnachts­markt.

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