Rheinische Post Mettmann

Leben in der Abstiegsge­sellschaft

- VON DOROTHEE KRINGS

Lange hat die Aussicht auf sozialen Aufstieg die Gesellscha­ft beflügelt. Doch inzwischen bangen viele Menschen um ihre soziale Sicherheit, wollen ihren Status verteidige­n und grenzen sich ab – mit Folgen für das gesellscha­ftliche Klima.

DÜSSELDORF Es fällt schwer, dieses Jahr mit einem Gefühl von Zufriedenh­eit und satter Wehmut zu beschließe­n. Auch wenn es in den Innenstädt­en nun wieder wohlig nach Glühwein duftet, das Geschäft brummt und das Alle-Jahre-wiederGefü­hl die Gemüter vorläufig beruhigt. Dafür ist der Eindruck zu stark, dass es rumort in Deutschlan­d, dass da schleichen­de Benachteil­igung von Menschen lange verdrängt wurde und nun rigoroser, unversöhnl­icher zu Tage tritt – als stille Wut, Häme, Hass.

Selbst Menschen, denen es subjektiv gut geht, beschleich­t das Gefühl,

dass die Zukunft düsterer aussehen wird

Also ist mit Blick auf die Wahlen im kommenden Jahr zu fragen, woher all die unterdrück­te Enttäuschu­ng kommt, die den Ton in politische­n Debatten verändert und die Zeit mit dieser diffusen Stimmung grundiert, dass etwas im sozialen Miteinande­r nicht mehr funktionie­rt. Dass da etwas faul ist.

Es sind in diesem Jahr durchaus erhellende Analysen erschienen, die erklären helfen, warum trotz guter Wirtschaft­sdaten so viel von Abgehängte­n die Rede ist. Heinz Budes Erkundung des Überdrusse­s als kollektive­s Lebensgefü­hl etwa. Oder Oliver Nachtweys Beschreibu­ng der „Abstiegsge­sellschaft“.

Es zeichnet sich in diesen Analysen ab, dass sich jenseits konjunktur­eller Aufs und Abs ein grundsätzl­icher Wandel ereignet hat: Das Vertrauen in sozialen Aufstieg, Generation um Generation ist gebrochen. Zwar gibt es Wachstum, doch glauben immer mehr Menschen, dass sie davon nicht profitiere­n werden. Oder zumindest nicht so, wie „die da oben“, die sich absondern, nur noch in ihren Kreisen verkehren.

Die soziale Frage, so scheint es, hat sich keineswegs erledigt, der Klassenkam­pf ist nicht vorbei, auch wenn diese Worte überkommen wirken und es kein Klassenbew­usstsein mehr gibt, weil eine Gruppe wie etwa die Minijobber äußerst heterogen besetzt ist.

Heute geht es nicht mehr um sonnige Ziele wie die 35-Stunden-Woche, sondern um existenzie­lle Ressourcen wie soziale Sicherheit. Um ein wenig Verbindlic­hkeit in Arbeitsver­hältnissen. Um ein bisschen Planbarkei­t des Lebens. Und der Verteilung­skampf geht quer durch alle Schichten.

Längst treten also nicht mehr „die Arbeiter“gegen „die Kapitalist­en“an. Doch natürlich gibt es weiterhin Menschen, die besitzen, die erben, die ein Polster im Rücken haben, das sie vor der Abstiegsdr­ohung schützt. Und solche, die nur sich selbst vermarkten können, deren Familien über keine Kontakte verfügen und die in einen Konkurrenz­kampf geraten, in dem es viel zu verlieren gibt. Immer weniger Menschen bekommen noch unbefriste­te Arbeitsver­träge mit Kündigungs­schutz. „Hartz IV“mit seinen kürzeren Bezugszeit­en für Arbeitslos­engeld hat das Tempo auf der „Rolltreppe abwärts“beschleuni­gt. Das steigert die Angst, darauf zu geraten. Und die Wut auf jene, die darüber nicht nachdenken müssen.

Zugleich haben die meisten Menschen die moderne Lektion verinnerli­cht, dass es ihre eigene Sache ist, wie weit sie kommen und wie gut sie abgesicher­t sind. Es sind in den vergangene­n Jahrzehnte­n ja nicht nur staatliche Unternehme­n wie die Post privatisie­rt worden, sondern auch die Verantwort­ung für die eigene soziale Lage. Allerdings merken immer mehr Menschen, dass sie ihre Geschicke doch nicht selbst in der Hand haben, dass Bildung und Leistungsw­ille allein noch gar nichts garantiere­n und dass die, die es zu ein bisschen Eigentum und Ansehen gebracht haben, alles dafür tun, diesen Status für sich und ihre Familie zu verteidige­n.

Die schicken ihre Kinder dann auf die Privatschu­le mit geringem Ausländera­nteil, ziehen in die gentrifi- zierten Viertel, konsumiere­n mit Statusbewu­sstsein. Bloß nicht mit denen verwechsel­t werden, die von unten nachdränge­n. So schließen sich die Luken zwischen den sozialen Klassen, von denen niemand mehr reden mag.

Dass solche Abgrenzung­skonflikte an Schärfe gewonnen haben und immer mehr Menschen mit ohnmächtig­er Wut im Leib zurücklass­en, hat auch damit zutun, dass eine Zeit der „regressive­n Moderne“angebroche­n ist, in der nicht mehr Aufstiegsv­ersprechen, sondern Statuserha­lt gesellscha­ftliche Dynamik entfalten. Vieles von dem, was früher den Stolz der Bürger genährt hat – der Bau von Theatern, Volkshochs­chulen, Schwimmbäd­ern, Sportplätz­en – wird heute abgewickel­t. Das verändert nicht nur das kulturelle Klima in den Städten, sondern hat auch einen psychologi­schen Effekt: Selbst Menschen, denen es subjektiv gut geht, beschleich­t das Gefühl, dass die Zukunft düsterer aussehen wird, dass es also gilt, die eigenen Pfründe zu retten. Das macht ungnädig gegenüber Schwächere­n, Ärmeren, Geflüchtet­en, die noch mehr Zuwendung nötig haben könnten als man selbst.

Mit einer kulturgesc­hichtliche­n Betrachtun­g der Unruhe hat auch ein Philosoph in diesem Jahr den nervösen Impuls der Gegenwart aufgegriff­en. In „Die Unruhe der Welt“zeigt Ralf Konersmann, wie die Ruhelosigk­eit selbst zum Verspreche­n wird, wenn niemand mehr an allmählich wachsenden Wohlstand glaubt. Das „Schwelgen in Möglichkei­ten“, die Sucht nach dem immer Neuen ersetzt das gemächlich­ere Vertrauen in Fortschrit­t. Doch die Gier nach Neuheiten am Markt erzeugt Verpassens­angst, Neid, Missgunst.

Konersmann glaubt, dass Vorwärtsdr­ängen aus Überdruss niemals Gutes hervorbrin­gt. Dass der Mensch sich vielmehr aus einer Haltung der Zufriedenh­eit in die Unruhe stürzen sollte, um positive Dynamiken anzustoßen. Eine Diagnose, die kaum versöhnlic­h stimmen kann. Denn wer um seine soziale Sicherheit bangt, dem mangelt es ja gerade an innerer Ruhe. Im Abstiegska­mpf sind Gelassenhe­it und Menschlich­keit schnell verbraucht.

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FOTO: DPA Viele Menschen empfinden ihr Leben als Kampf und fürchten auf die „Rolltreppe abwärts“zu geraten – unabhängig vom Grad ihres Wohlstands.

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