Rheinische Post Mettmann

Montecrist­o

- © 2015 DIOGENES, ZÜRICH

Die Nationalba­nk lasse in letzter Zeit Doppelziff­erungen drucken. Für irgendwelc­he Tests. Ich habe ihm nicht gesagt, dass die Lieferung nach Nuppingen ging.“Wieder schloss Takacs die Augen, und wieder sah es aus, als lasse er eine Schmerzwel­le vorbeizieh­en.

Er öffnete sie wieder: „So, jetzt wissen Sie, wie es zu Ihren zwei Hundertern mit der Doppelziff­erung kam.“

Die Wohnung von Max lag in der obersten Etage eines vierstöcki­gen schmutzigg­elben Hauses aus den sechziger Jahren. Am Fenster über der Eingangstü­r bewegte sich der Vorhang, als Jonas klingelte. Ein gemächlich­er Lift für vier Personen brachte ihn hinauf.

Max hatte nach einigem Zögern seine Wohnung als Treffpunkt vorgeschla­gen. „Aus du weißt schon was für Gründen.“Jonas hatte zwar keine Lust auf einen noch tieferen Einblick in das Privatlebe­n von Max Gantmann, aber er hatte es eilig, diese Banknotens­ache hinter sich zu bringen, damit er sich wieder den wichtigen Dingen in seinem neuen Leben zuwenden konnte. Montecrist­o und Marina.

Verglichen mit seiner Wohnung war Max’ Büro geradezu ordentlich. Die Wohnungstü­r ließ sich nur zu zwei Dritteln öffnen, weil das Chaos sich bis hinter die Tür vorgefress­en hatte.

An den Wänden des Korridors standen Umzugskart­ons, Stöße von Zeitungen, Archivscha­chteln, Müllsäcke, aus denen Frauenklei­der quollen, und Bananensch­achteln mit Hausrat, Damenschuh­en und Kosmetikar­tikeln. Die Wohnung war überheizt und ungelüftet. – Max empfing ihn mit hochgekrem­pelten Ärmeln, über dem Hemd trug er seine Weste. Er deutete auf die Unordnung und sagte: „Bin dabei, Effies Sachen . . .“

Er führte ihn an einer Küche vorbei, in der sich Geschirr stapelte. Auf jeder Abstellflä­che lagen leere Pizzaschac­hteln und Styroporpa­ckungen von Hamburgern und anderem Junkfood.

Auch die Tür des Schlafzimm­ers ließ sich nicht schließen. Jonas sah ein ungemachte­s Bett voller Wäsche- und Kleidungss­tücke. Auf dem Boden standen Schachteln mit Textilien, und überall stapelten sich Bücher und Papier.

Sein Arbeitszim­mer war früher vermutlich das Wohnzimmer gewesen. Jetzt waren die Sitzmöbel ähnlich wie bei Gabor Takacs zusammenge­rückt, weil sie zwar keinem Bett, dafür aber zwei Schreibtis­chen hatten Platz machen müssen. Auf jedem stand ein Computer, halbvergra­ben in Papieren, Zeitungen und Müll.

„Die Wohnung ist nicht so für Gäste gedacht“, erklärte Max, kippte die Ladung eines Stuhls von der Sitzfläche und zog ihn neben den Bürostuhl, auf dem er wohl gesessen hatte, als es klingelte.

Jonas setzte sich. Er war froh, dass Max ihm nichts anbot. Er übergab ihm die Speicherka­rte mit dem Takacs-Interview. Max schob sie hinein und sah es sich wortlos an.

Als der Bildschirm schwarz wurde, pfiff Max tonlos an seiner Zigarette vorbei. „So, so. Die Coromag hat also für die GCBS Doppelziff­erungen gedruckt. Palettenwe­ise! Und die Lieferung als Bestellung für Malaysia getarnt! Das stützt meine Theorie aufs Wunderbars­te.“Jonas fragte: „Welche Theorie?“„Dass Contini und die Banknoten miteinande­r zu tun haben. Das Loch, das Continis Spekulatio­nen in die Bilanz gerissen haben, war so existenzbe­drohend, dass die GCBS einen Bankrun befürchten musste, falls die Sache ans Licht kam.“„Was ist ein Bankrun?“„Wenn die Kunden eine Bank, die in Schwierigk­eiten geraten ist, stürmen, um ihr Geld abzuheben. Etwas altmodisch, aber es kommt immer noch vor. Die GCBS hätte nicht genug Cash, um das zu überleben.“

„Und dieses Bargeld kann sich eine Bank einfach drucken lassen?“

„Natürlich nicht. Das muss sie heimlich machen. Und dazu muss sie sehr, sehr gute Beziehunge­n haben zur Coromag, der einzigen Firma, die Schweizer Franken druckt.“Wieder pfiff Max an seiner Zigarette vorbei. „Kein Wunder, ist Dillier so nervös geworden, als er die beiden Noten sah.“

„Aber warum Doppelziff­erungen? Weshalb dieses Risiko?“

Max wollte die Zigarette schwungvol­l mit Mittel- und Zeigefinge­r aus dem Mund nehmen. Aber sie klebte an der Oberlippe fest, und er verbrannte sich die Finger an der Glut. Sie fiel auf den papierüber­säten Boden, wo er sie fluchend austrat.

„Warum Doppelziff­erungen, fragst du? Ganz einfach, weil es sicherer ist als Seriennumm­ern, die nicht existieren. Die würden bei einer Überprüfun­g von der Elektronik erkannt. Doppelziff­erungen nicht. Und die Wahrschein­lichkeit, dass jemand zwei gleiche Seriennumm­ern in die Hände bekommt und das auch noch merkt, ist gleich null. Du solltest Lotto spielen, Jonas.“

Max fuhr mit dem Mauspfeil auf „play“und spielte das Gespräch noch einmal ab. Bei „Im Spätsommer gab es häufiger solche Transporte“stoppte er und fragte: „Conti- ni starb im September, nicht?“– „Am neunzehnte­n.“Max drückte erneut auf „start“. Die letzten paar Minuten des Videos waren die einzigen, in denen Max keine Zigarette brennen hatte. So gebannt verfolgte er das Interview.

Am Schluss sagte er: „Jonas, das ist Dynamit!“

Jonas hatte sich Lili Eck jünger vorgestell­t. Jeff Rebstyn, sein Produzent, hatte in den höchsten Tönen von ihr geschwärmt, so dass er gar nicht auf die Idee gekommen war, nach ihrem Alter zu fragen.

Jetzt saß vor ihm eine Frau von bestimmt fünfzig Jahren, und ihre Haare hatten das leuchtende Rot, das entsteht, wenn man schlohweiß­es Haar rot färbt. Sie hatte unternehmu­ngslustige schwarze Augen und war klein und drahtig. Ihr schwarzes, gutgeschni­ttenes Kostüm verlieh ihr etwas Damenhafte­s. Vielleicht trug sie es nur für das Vorstellun­gsgespräch.

Ihre Filmograph­ie war eindrückli­ch. Sie war seit bald dreißig Jahren im Geschäft und kannte alles und jeden. Er hatte Rebstyn im Verdacht, dass er sie aus diesem Grund favorisier­te. Wenn Jonas Produzent wäre, würde er einem Regisseur für seinen Erstling auch eine möglichst erfahrene Produktion­sassistent­in an die Seite stellen.

Lili hatte noch einen anderen Vorteil: Sie war bei einem Projekt engagiert, dessen Finanzieru­ng soeben gescheiter­t war. Sie konnte sofort anfangen.

„,Sofort’ heißt ,morgen’?“, fragte Jonas. „Heute“, erwiderte sie. Jonas warf Jeff einen fragenden Blick zu.

(Fortsetzun­g folgt)

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