Montecristo
Die Nationalbank lasse in letzter Zeit Doppelzifferungen drucken. Für irgendwelche Tests. Ich habe ihm nicht gesagt, dass die Lieferung nach Nuppingen ging.“Wieder schloss Takacs die Augen, und wieder sah es aus, als lasse er eine Schmerzwelle vorbeiziehen.
Er öffnete sie wieder: „So, jetzt wissen Sie, wie es zu Ihren zwei Hundertern mit der Doppelzifferung kam.“
Die Wohnung von Max lag in der obersten Etage eines vierstöckigen schmutziggelben Hauses aus den sechziger Jahren. Am Fenster über der Eingangstür bewegte sich der Vorhang, als Jonas klingelte. Ein gemächlicher Lift für vier Personen brachte ihn hinauf.
Max hatte nach einigem Zögern seine Wohnung als Treffpunkt vorgeschlagen. „Aus du weißt schon was für Gründen.“Jonas hatte zwar keine Lust auf einen noch tieferen Einblick in das Privatleben von Max Gantmann, aber er hatte es eilig, diese Banknotensache hinter sich zu bringen, damit er sich wieder den wichtigen Dingen in seinem neuen Leben zuwenden konnte. Montecristo und Marina.
Verglichen mit seiner Wohnung war Max’ Büro geradezu ordentlich. Die Wohnungstür ließ sich nur zu zwei Dritteln öffnen, weil das Chaos sich bis hinter die Tür vorgefressen hatte.
An den Wänden des Korridors standen Umzugskartons, Stöße von Zeitungen, Archivschachteln, Müllsäcke, aus denen Frauenkleider quollen, und Bananenschachteln mit Hausrat, Damenschuhen und Kosmetikartikeln. Die Wohnung war überheizt und ungelüftet. – Max empfing ihn mit hochgekrempelten Ärmeln, über dem Hemd trug er seine Weste. Er deutete auf die Unordnung und sagte: „Bin dabei, Effies Sachen . . .“
Er führte ihn an einer Küche vorbei, in der sich Geschirr stapelte. Auf jeder Abstellfläche lagen leere Pizzaschachteln und Styroporpackungen von Hamburgern und anderem Junkfood.
Auch die Tür des Schlafzimmers ließ sich nicht schließen. Jonas sah ein ungemachtes Bett voller Wäsche- und Kleidungsstücke. Auf dem Boden standen Schachteln mit Textilien, und überall stapelten sich Bücher und Papier.
Sein Arbeitszimmer war früher vermutlich das Wohnzimmer gewesen. Jetzt waren die Sitzmöbel ähnlich wie bei Gabor Takacs zusammengerückt, weil sie zwar keinem Bett, dafür aber zwei Schreibtischen hatten Platz machen müssen. Auf jedem stand ein Computer, halbvergraben in Papieren, Zeitungen und Müll.
„Die Wohnung ist nicht so für Gäste gedacht“, erklärte Max, kippte die Ladung eines Stuhls von der Sitzfläche und zog ihn neben den Bürostuhl, auf dem er wohl gesessen hatte, als es klingelte.
Jonas setzte sich. Er war froh, dass Max ihm nichts anbot. Er übergab ihm die Speicherkarte mit dem Takacs-Interview. Max schob sie hinein und sah es sich wortlos an.
Als der Bildschirm schwarz wurde, pfiff Max tonlos an seiner Zigarette vorbei. „So, so. Die Coromag hat also für die GCBS Doppelzifferungen gedruckt. Palettenweise! Und die Lieferung als Bestellung für Malaysia getarnt! Das stützt meine Theorie aufs Wunderbarste.“Jonas fragte: „Welche Theorie?“„Dass Contini und die Banknoten miteinander zu tun haben. Das Loch, das Continis Spekulationen in die Bilanz gerissen haben, war so existenzbedrohend, dass die GCBS einen Bankrun befürchten musste, falls die Sache ans Licht kam.“„Was ist ein Bankrun?“„Wenn die Kunden eine Bank, die in Schwierigkeiten geraten ist, stürmen, um ihr Geld abzuheben. Etwas altmodisch, aber es kommt immer noch vor. Die GCBS hätte nicht genug Cash, um das zu überleben.“
„Und dieses Bargeld kann sich eine Bank einfach drucken lassen?“
„Natürlich nicht. Das muss sie heimlich machen. Und dazu muss sie sehr, sehr gute Beziehungen haben zur Coromag, der einzigen Firma, die Schweizer Franken druckt.“Wieder pfiff Max an seiner Zigarette vorbei. „Kein Wunder, ist Dillier so nervös geworden, als er die beiden Noten sah.“
„Aber warum Doppelzifferungen? Weshalb dieses Risiko?“
Max wollte die Zigarette schwungvoll mit Mittel- und Zeigefinger aus dem Mund nehmen. Aber sie klebte an der Oberlippe fest, und er verbrannte sich die Finger an der Glut. Sie fiel auf den papierübersäten Boden, wo er sie fluchend austrat.
„Warum Doppelzifferungen, fragst du? Ganz einfach, weil es sicherer ist als Seriennummern, die nicht existieren. Die würden bei einer Überprüfung von der Elektronik erkannt. Doppelzifferungen nicht. Und die Wahrscheinlichkeit, dass jemand zwei gleiche Seriennummern in die Hände bekommt und das auch noch merkt, ist gleich null. Du solltest Lotto spielen, Jonas.“
Max fuhr mit dem Mauspfeil auf „play“und spielte das Gespräch noch einmal ab. Bei „Im Spätsommer gab es häufiger solche Transporte“stoppte er und fragte: „Conti- ni starb im September, nicht?“– „Am neunzehnten.“Max drückte erneut auf „start“. Die letzten paar Minuten des Videos waren die einzigen, in denen Max keine Zigarette brennen hatte. So gebannt verfolgte er das Interview.
Am Schluss sagte er: „Jonas, das ist Dynamit!“
Jonas hatte sich Lili Eck jünger vorgestellt. Jeff Rebstyn, sein Produzent, hatte in den höchsten Tönen von ihr geschwärmt, so dass er gar nicht auf die Idee gekommen war, nach ihrem Alter zu fragen.
Jetzt saß vor ihm eine Frau von bestimmt fünfzig Jahren, und ihre Haare hatten das leuchtende Rot, das entsteht, wenn man schlohweißes Haar rot färbt. Sie hatte unternehmungslustige schwarze Augen und war klein und drahtig. Ihr schwarzes, gutgeschnittenes Kostüm verlieh ihr etwas Damenhaftes. Vielleicht trug sie es nur für das Vorstellungsgespräch.
Ihre Filmographie war eindrücklich. Sie war seit bald dreißig Jahren im Geschäft und kannte alles und jeden. Er hatte Rebstyn im Verdacht, dass er sie aus diesem Grund favorisierte. Wenn Jonas Produzent wäre, würde er einem Regisseur für seinen Erstling auch eine möglichst erfahrene Produktionsassistentin an die Seite stellen.
Lili hatte noch einen anderen Vorteil: Sie war bei einem Projekt engagiert, dessen Finanzierung soeben gescheitert war. Sie konnte sofort anfangen.
„,Sofort’ heißt ,morgen’?“, fragte Jonas. „Heute“, erwiderte sie. Jonas warf Jeff einen fragenden Blick zu.
(Fortsetzung folgt)