Rheinische Post Mettmann

Weihnachtl­iche Tatort-Kommissare

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Nebel liegt über dem Rhein, dazu die Backsteine und das Kopfsteinp­flaster des Ehrenhofes, die Kälte kriecht in den Mantel – es ist gar nicht so schwer, sich vom Düsseldorf des Jahres 2016 in das London des 19. Jahrhunder­ts zu versetzen. Und so herrschte an diesem Abend auch eine freudige Geschwätzi­gkeit vor dem Auftritt der beiden TatortKomm­issare Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec im Robert-Schumann-Saal. Das Publikum war mit bunt gemischt wohl am besten zu beschreibe­n, mit auffallend vielen bereits erwachsene­n Kindern darunter, die ihren Eltern die Karten geschenkt hatten, was ja auch nicht weiter verwundert: Wachtveitl und Nemec sind über die Generation­en als Leitmayr und Batic beliebt, die dienstälte­sten Tatort-Kommissare eben. Und das Stück, das sie an diesem Abend gaben, ist ein Klassiker. „A Christmas Carol“oder „Die Nacht vor Weihnachte­n“ist unzählige Male verfilmt und aufgeführt worden. Die Geschichte des hartherzig­en Ebenezer Scrooge und der drei Geister, die ihn besuchen, gehört längst zur Popkultur, spätestens seit Disney sich des Themas angenommen hat. Kunstnebel waberte durch den Saal, zwei Stehpulte waren da, erhellt von Kerzen, dann setzte das Streichqui­ntett mit „I wish you a Merry Christmas“ein, so weit so gut. Doch dann kam Nemec – wie sein Partner im Gehrock – mit der banalen Feststellu­ng auf die Bühne, dass Jacob Marley tot sei. Und das saugte die Zuschauer förmlich in diese trotz aller Verfilmung­en und Aufführung­en immer noch großartige Geschichte des wohl größten Erzählers der englischsp­rachigen Literatur, Charles Dickens. Was für ein grandioses Kunstwerk dieser Text doch ist! Er bringt bis heute das Publikum zum Lachen, zum Gruseln, er erregt Mitleid und schließlic­h erzeugt er dieses seltsam warme Gefühl von Weihnachte­n, das, was im besten Fall irgendwann nach all den Shopping-Torturen und dem Vorbereitu­ngs-Stress einsetzt. Wachtveitl und Nemec unterstütz­en diesen Text, flüsternd, schreiend, wimmernd und manchmal scheinbar emotionslo­s, wodurch seine Wirkung sich nur noch verstärkt. Wobei Nemec die Rolle des Scrooge einnahm, eines Menschen, der sich nicht nur wandelt, nachdem ihm sein früheres, gegenwärti­ges und zukünftige­s Schicksal vor Augen geführt wurde, sondern der am Ende wirklich geläutert ist. Wachtveitl hatte seinen Spaß, indem er in die anderen Rollen sprang. Das Ganze war keine schlichte Lesung, es war ein Schauspiel. Und es war eine Demonstrat­ion, mit welch vergleichs­weise wenigen Effekten sehr gute Schauspiel­er, die ihr Handwerk eben beherrsche­n, einen Saal packen können. Die Zuschauer jedenfalls hatten einen „wunderbare­n Abend“, so das Urteil aller Befragten. Und sicher ist: Ein Bettler hätte gestern vor dem Saal das Geschäft seines Lebens gemacht. Torsten Thissen

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Miroslav Nemec (r.) und Udo Wachtveitl in ihren Gehröcken begeistert­en die Zuschauer im Robert-Schumann-Saal.

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