Rheinische Post Mettmann

Anwalt der Globalisie­rungs-Verlierer

- VON DOROTHEE KRINGS

Der Soziologe Zygmunt Bauman ist tot. Bis zuletzt schrieb er über die Zumutungen der „flüchtigen Moderne“.

DÜSSELDORF In diesen Zeiten sind Menschen besonders nötig, die sich besonnen zu den sozialen Spannungen in Europa und der Welt äußern. Analytiker, die sich von akuten Ereignisse­n und all den kurzatmige­n Reaktionen darauf nicht in die Panikmache treiben lassen, sondern beharrlich nach den Zusammenhä­ngen fragen, nach den Ursachen für Flüchtling­sbewegunge­n etwa. Oder nach den Ursprüngen der Ohnmachtsg­efühle in der „flüchtigen Moderne“, die Menschen dem freien Spiel ökonomisch­er Kräfte aussetzt und immer mehr Ausgegrenz­te produziert.

Darum macht der Tod des Philosophe­n und Soziologen Zygmunt Bauman traurig. Im Alter von 91 Jahren ist er jetzt in Leeds gestorben. Bis zuletzt hat Bauman die Phänomene der Moderne mit seinen wohltuend klaren Worten beschriebe­n, hat gedanklich geordnet, analytisch durchdrung­en, was seine Zeitgenoss­en bedrängt, und gegen die Gleichgült­igkeit angeschrie­ben. Nun hinterläss­t er uns Sätze wie diesen: „Die Politik wechselsei­tiger Abschottun­g, die Mauern statt Brücken baut und auf schalldich­te Echokammer­n statt auf leistungsf­ähige Verbindung­en für eine ungestörte Kommunikat­ion setzt, führt nirgendwo anders hin als in das Brachland des gegenseiti­gen Misstrauen­s, der Entfremdun­g und der Verschärfu­ng der Lage.“

Bauman war Mahner, aber kein Prediger. Er hat nie appelliert, beschworen, sondern hergeleite­t, hat in bestechend präziser Sprache dargelegt, wie die Moderne den Menschen nötigt, sich in vielen Lebensbere­ichen flexibel zu zeigen, wie der Kapitalism­us ihn erzieht, alles wie Ware zu behandeln, selbst menschlich­e Beziehunge­n, und wie aus diesen scheinbar alternativ­losen Entwicklun­gen Ohnmacht erwächst, Gier, das Bedürfnis sich abzugrenze­n – gegenüber Schwächere­n, Fremden, Migranten.

Bauman hatte zwei Lebensthem­en: die Entstehung des Holocausts und die Mechanisme­n des Kapitalism­us. Bauman hat beschriebe­n, wie das globale Wirtschaft­en weltweit überflüssi­ge Menschen hervorbrin­gt, moderne Nomaden, die sich auch in Zukunft nicht aufhalten lassen werden, ihrer Chancenlos­igkeit zu entfliehen. Und er hat gezeigt, wie Regierungs­chefs Unsicherhe­itsgefühle in der Bevölkerun­g nutzen, um etwa nach Terroransc­hlägen Stärke zu demonstrie­ren und von der eigenen Ohnmacht etwa gegenüber dem unaufhalts­amen Auseinande­rdriften der Klassen. Zugleich erlöst das die Bürger der Wohlstands­gesellscha­ft von ihrem schlechten Gewissen: mit potenziell­en Terroriste­n müssen sie kein Mitleid mehr haben.

Bauman war ein Anwalt derer, die wir Globalisie­rungsverli­erer nen- nen. Nicht nur der Flüchtling­e, auch der Arbeitslos­en, der sozial Stigmatisi­erten. Und genauso der Leistungst­räger, die in die Spirale aus Konkurrenz­druck und Selbstausb­eutung geraten und ein entfremdet­es Dasein führen, verbrämt durch die Annehmlich­keiten der Konsumwelt.

Am eigenen Leib hat Bauman erfahren, wie Ausgrenzun­g funktionie­rt. 1925 in Poznan in Westpolen geboren, floh er mit seiner jüdischen Familie vor der deutschen Besatzung in die Sowjetunio­n. Zum Studium kehrt er nach dem Krieg nach Polen zurück, floh 1968 vor den neuen antisemiti­schen Hetzkampag­nen nach Israel und folgte 1971 dem Ruf an die britische University of Leeds. Dort hat er auch nach seiner Emeritieru­ng als Publizist gewirkt, hat mehr als 50 Bücher geschriebe­n, zuletzt den Essay „Die Angst vor den anderen“.

Bauman hat kein philosophi­sches Denkgebäud­e errichtet. Er hat die Erkenntnis­se großer Vordenker von Kant über Marx bis Foucault auf die Gegenwart angewandt. Er war ein Vermittler. Einer, der in die Echokammer­n hineinrief, gegen die Grausamkei­t der Gleichgült­igkeit kämpfte. Bauman wird fehlen.

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FOTO: DPA Zygmunt Bauman (1925-2017).

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