Kanzlerkandidat in spe besucht Kalkwerk
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel besuchte gestern das Werk Flandersbach und sprach mit Leitung, Auszubildenden und Betriebsrat.
WÜLFRATH Kaum ein öffentlicher Auftritt von Sigmar Gabriel in den vergangenen Tagen und Wochen stand so unter der Frage: Macht er’s jetzt oder nicht? Wird er Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl im September. Oder nicht? Eine Antwort gab’s gestern im Kalkwerk Flandersbach bei Lhoist (natürlich) nicht, denn da müsse man sich schon gedulden bis zum 29. Januar, sagte er bereits morgens. Genährt worden waren die Spekulationen gestern Nachmittag vor allem durch den etwa drei Stunden später angesetzten Termin in einem Düsseldorfer Hotel: Dort traf sich die SPD-Spitze, um zu beraten. Wohl auch über den Spitzenmann der SPD im Spätsommer. Bei Lhoist in Wülfrath jedenfalls war schon eine Art Aufgalopp für den Wahlkampf zu beobachten. Die SPD-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete (Wahl im September) Kerstin Griese und der Landtagsabgeordneter (Wahl im Frühjahr) Volker Münchow waren mit Gabriel zu Gast im größten Kalkwerk Europas und sprachen dort mit der Unternehmensleitung, Auszubildenden und dem Betriebsrat. Bürgermeisterin Claudia Panke vertrat die Stadt Wülfrath beim hohen Besuch.
„So, was erwarten sie von der Politik in Deutschland“, fragte Gabriel ganz forsch in die Diskussionsrunde mit den Auszubildenden des Werkes. Und die jungen Menschen ließen sich nicht lange bitten. „Ich erwarte, dass sie sich um uns Arbeiter kümmern“, sagte ein angehender Industriemechaniker.
Die vielen Fragen der Zukunft in einer digitalen Welt kann auch Gabriel nicht alle beantworten, aber er erinnerte daran, dass der Wohlstand des Landes in hohem Maße an Export und Sozialpartnerschaft hängt. Dies müsse in Zukunft gesichert werden. Falle zum Beispiel der Export des Landes weg, sei dies der Untergang des Landes Was er als 17oder 18-Jähriger heute gelernt hätte? Gabriel erinnert an seine Jugendzeit, in der die Tarifvertragsgrundlagen gelegt worden seien. Heute sei Erfolg und berufliches Weiterkommen nicht abhängig vom Studium. Ausbildung statt oder plus Studium gäben viele Wege frei, die erfolgreich sein können. Deshalb sollten auch nicht nur Studiengebühren abgeschafft, sondern auch Ausbildungs- und Meistergebühren wegfallen.
Mehr Investitionen in die Schulen („Da ist jahrelang zu wenig gemacht worden“) und eine Energiepolitik, die die Braunkohle solange nutze, bis Ersatzarbeitsplätze geschafft werden, sind sein Anliegen. „Ich halte beim Ende der Braunkohle nichts von einer Jahreszahl, denn dann beginnt der Wettlauf an, wer es schneller macht.“Ja, die chinesische Kultur verbiete einen Gesichtsverlust, doch beim Thema der Stahlproduktion müsse man gegenüber China intern eine klare Haltung haben und darüber sprechen.
Gabriel, der in der Vergangenheit öfter sein Verhältnis zu seinem leiblichen Vater thematisiert hat, der ihn verprügelte und seiner Mutter auch keinen Unterhalt gezahlt habe, gab sich selbst als Kronzeuge, um Frauenförderung im Beruf zu fordern. Deshalb wolle seine Partei die Klagepflicht der Kommunen auf Unterhalt bei den Vätern stärken und die Unterhaltszeiten verlängern. Darüber spreche er morgen im Arbeitskreis mit der CDU/CSU.