Beigedreht
Es galt als ausgemacht, dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat gegen Angela Merkel antritt. Dann aber traf er eine Entscheidung für seine Partei und für sein Privatleben.
BERLIN Sigmar Gabriel ist Segler. Er kennt das: Auf hoher See kündigt sich ein Sturm oft harmlos an. Der Wind frischt auf, ein paar dunkle Wolken ziehen heran. Dem Anschein zum Trotz: Wenn man dann nicht sofort die Segel refft und die Sicherheitsleinen anlegt, macht der Sturm mit einem, was er will.
Der auffrischende Wind war im Regierungsviertel seit dem Wochenende spürbar. Das Gerücht machte sich breit, dass es mit der Kür des SPD-Kanzlerkandidaten doch schneller gehen könne als geplant. Gabriel selbst entfachte den Sturm. Er gab dem „Stern“ein In- nen jetzt nichts sagen“, raunzte er und verschwand im Fraktionssaal.
Fraktionschef Thomas Oppermann gab sich wenige Minuten zuvor bei seinem üblichen Medienstatement ebenfalls zugeknöpft, drinnen erteilte er Gabriel dann schnell das Wort: Der Parteichef habe den Abgeordneten etwas zu sagen. Und das tat Gabriel dann dem Vernehmen nach sehr ruhig und aufgeräumt. Er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, seit Monaten habe er hin und her überlegt. Am Ende habe er die Entscheidung aber für die Partei getroffen. Klar sei, dass Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz von einer Person ausgeübt werden müssten. Da- te auch Verstimmung bei zahlreichen Abgeordneten aus. Von „suboptimal“bis „peinlich“reichten die Einschätzungen, einer nahm sogar das Wort der „Sturzgeburt“in den Mund.
Viele Abgeordnete lasen erst wenige Minuten vor Beginn der Sitzung auf ihren Smartphones von Gabriels geplanter Rochade, mit der er sich selbst aus der ersten Reihe nimmt. „Ich habe es erfahren, als ich das Foyer des Reichstages betrat“, sagte einer. Das habe ihn schon sehr überrascht. „Aus Medienberichten über ein noch unveröffentlichtes Interview zu erfahren, dass der Parteivorsitzende die Kandidatur abgibt, empfinde ich als sehr unbefriedigend“, dium hieß es, man hätte das eine Nummer kleiner machen können. Andere hielten dagegen. „Das ist doch wie bei einer Operation“, sagte der stellvertretende Fraktionschef Karl Lauterbach: Am Ende sei das Verfahren nicht so entscheidend. „Das Ergebnis zählt, und das ist richtig“, so Lauterbach.
Gabriel hatte es sich nicht leicht gemacht. Monatelang hatte er mit sich und seinen Umfragewerten gehadert, führte Gespräche mit Mitgliedern der Parteispitze. Am vergangenen Samstag habe er sich mit Martin Schulz getroffen und ihm seinen Vorschlag unterbreitet, sagte er gestern Abend. Den Antrag für den Wechsel des Parteivorsitzes