Diener zweier Herren
DÜSSELDORF Es ist ein politischer Großkonflikt. Hier: der deutsche Verfassungsstaat, ein kompliziertes Gefüge der Gruppen und Einzelstaaten. Dort: eine sehr selbstbewusste Gemeinschaft mit starken religiösen und emotionalen Bindungen ins Ausland. Jahrelang streitet man über Ausbildung von Geistlichen, Eingriffe in religiöse Angelegenheiten, Beeinflussung von außen, letztlich darum, wem die Treue der anderen gilt. Die Wortwahl ist ruppig; aus der Regierung kommt gar der Vorwurf der „Mobilmachung gegen den Staat“.
Das klingt nach 2017. Imame spähten nach dem Putschversuch in der Türkei hierzulande für türkische Behörden Glaubensgenossen aus; aus deutschen Schulen wird über Spitzelattacken im Auftrag Ankaras berichtet. Vor allem aber wird um Recep Tayyip Erdogans Wahlkampf gestritten, über türkische Innenpolitik auf deutschem Boden. Die Kernfrage ist: Wohin blicken die Deutschtürken – nach Berlin oder Ankara? „Ein hohes Maß an Loyalität“verlangte die Kanzlerin schon 2016 den Deutschtürken ab. Doch der Streit, von dem eingangs die Rede war, liegt 140 Jahre zurück. Es ist der „Kulturkampf“des Deutschen Kaiserreichs, vertretenvon Reichskanzler Otto von Bismarck, gegen deutsche Katholiken ab 1871.
Die Gemeinsamkeiten sind frappierend. Hier wie dort wird Pluralismus gegen Einheitlichkeit ins Feld geführt, Fortschritt gegen Rückständigkeit, starker Staat gegen Parallelgesellschaften. Bismarck sah im Katholizismus mit Bindungen an Rom und in der Zentrumspartei als seiner politischen Vertretung eine Gefahr für die Ordnung des Reichs. Ganz fernliegend war das nicht: Die päpstliche Politik hatte sich seit 1870 radikalisiert, als Italien den Kirchenstaat eroberte. Rom war die Trutzburg der Reaktion; die deutschen Bischöfe fügten sich dem zögerlich.
Ultramontanismus war das Schimpfwort der Zeit – die Katholiken erhielten Weisungen „jenseits der Berge“, im Vatikan. Die Katholiken von heute sind Deutschtürken und Muslime in Deutschland. In der Kritik stehen Erdogans Unterstützer und der MoscheeDachverband Ditib, der über das türkische Präsidium für Religionsangelegenheiten an die Regierung gebunden ist. Ditib war lange Aushängeschild eines gemäßigten, staatsverbundenen Islam – bis Erdogan sich die Türkei zur Beute machte. Seither ist der Frieden dahin, Ditib ein rotes Tuch, Erdogan außer Rand und Band.
Das sind die Ähnlichkeiten an der Oberfläche. Die tiefere Gemeinsamkeit liegt, da hat Angela Merkel recht, im Streit um Loyalität. Biblisch gesagt: Kann man zwei Herren dienen? Für Bismarck war klar: nein. Er überzog die Katholiken mit einer Reihe von Strafgesetzen, um ihren Einfluss auszuschalten. Das Zitat der „Mobilmachung“stammt von ihm. Der konservative Reichskanzler stand im Bunde mit den Liberalen, die die Zentrumspartei als Hindernis für den starken Nationalstaat sahen.
Heute heißt die ultimative rhetorische Keule NS-Vergleich. Das Misstrauen aber ist ähnlich tief. 40 Prozent der Deutschen sehen den Staat durch den Islam unterwandert; 81 Prozent glauben, Berlin lasse sich zu viel bieten von Ankara. Ditib und Erdogan sind neuralgische Punkte im Verhältnis der Republik zu ihren Muslimen, ihren Türken.
Der größte Unterschied: 2017 ist das Problem das Gebaren eines fremden Staats, 1871 war es das Verhältnis zu einer geistlichen Macht. Der Papst hatte seinen Staat kurz zuvor verloren. Allerdings forderte das Zentrum 1871 die Wiederherstellung des Kirchenstaats – und leistete so der antikatholischen Stimmung Vorschub. Auch türkische Minister heute tun sich mit ihrem Furor in Deutschland keinen Gefallen.
Lernen lässt sich aus dem Vergleich dreierlei. Erstens: Loyalität lässt sich
2017 ist das Problem das Gebaren eines fremden Staates, 1871 war es das Verhältnis zu einer geistlichen Macht.