„Keiner muss meine Bücher lesen“
Am 17. und 18. Mai liest Ex-Politiker Thilo Sarrazin in der Friedrichstädter Weinhandlung „Feinstil“aus seinem neuen Buch „Wunschdenken“. Das gefällt einigen Leuten gar nicht. Ein offener Brief auf Facebook und eine Petition gegen die Lesung waren nur der Anfang. Drei Mal mussten die Inhaber Plakate, Farbe oder Bauschaum von ihrem Schaufenster entfernen. Was sagt der umstrittene Autor dazu – und was erwartet das Publikum bei seiner Lesung? Worum geht es in „Wunschdenken“? THILO SARRAZIN Ich befasse mich mit der Frage, wie politische Entscheidungen zustande kommen und welche Bedingungen erfolgreiche Politik braucht. Ich betrachte konkrete Fehler der Politik auf Feldern wie Einwanderung, Grenzen, Bildung, Währung und Energie. Im fünften Kapitel entwerfe ich eine Vision für die politische Zukunft Deutschlands. Das klingt gar nicht so sehr nach politischem Zündstoff. Ist „Wunschdenken“anders als „Deutschland schafft sich ab“? Vielleicht eher analytisch als kontrovers? SARRAZIN Alle meine Bücher sind analytisch. Auch „Deutschland schafft sich ab“. Die Themen, die mich damals beschäftigt haben, kommen wieder vor: Leistung, Bildung, was Gesellschaften erfolgreich macht. Der Islam spielt auch in „Wunschdenken“wieder eine Rolle. Wie haben sich Ihre Gedanken dazu entwickelt? SARRAZIN Die Diskussion in „Deutschland schafft sich ab“wurde damals stark skandalisiert. Heute stelle ich fest: Es ist alles noch viel schlimmer gekommen, als ich es damals gesagt habe. Was sagen Sie zu den Gegnern Ihrer Lesung in Düsseldorf? SARRAZIN Es ist jedem selbst überlassen, womit er sich befasst. Keiner muss meine Bücher lesen. Keiner muss mir zuhören.
Wer kommt zu Ihren Lesungen? SARRAZIN Leute, die eine Karte kaufen, kommen nicht zu einem Menschen, dessen Thesen sie ablehnen. Man kauft ja auch keine Kinokarte, wenn man den Film nicht sehen will. Im Juni 2016 hat Sie jemand bei einer Lesung in einer Buchhandlung nahe der Kö mit einer Torte beworfen, aber verfehlt. SARRAZIN Er hatte schon richtig gezielt. Ein Sicherheitsbeamter warf sich dazwischen und bekam den größten Teil ab. Ich habe damals Strafanzeige gestellt. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat sie acht Monate lang bearbeitet. Im Februar hat sie mir dann mitgeteilt, dass an einer Anklage kein öffentliches Interesse besteht, weil es sich um einen Ersttäter gehandelt habe und ich nicht verletzt worden sei. Ich habe zurückgefragt, ob man auch so entschieden hätte, wenn Angela Merkel beworfen worden wäre. Darauf hat sie nicht geantwortet. Wie denken Sie über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens? SARRAZIN Der Täter fühlt sich dadurch bestätigt. Auf dem Plakat, das jetzt an die Scheibe der Weinhandlung geklebt wurde, ist ein Tortenstück abgebildet. Es handelt sich um die gleiche Klientel, die sich bestätigt fühlen kann durch politisch motivierte Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und deren selektivem Blick. Mit welchem Bauchgefühl werden Sie im Mai nach Düsseldorf reisen? SARRAZIN Nun ja, es wird Taschenkontrollen geben. Aber man weiß natürlich nie. Ich habe mich jedenfalls wegen des jüngsten Falls von Vandalismus bei der Polizei gemeldet. Das ist ja auch für mich eine Bedrohungslage. Freuen Sie sich unter solchen Umständen noch auf eine solche Lesung? SARRAZIN Ach ja. Ich mache das ja doch gerne. DIE FRAGEN STELLTE HELENE PAWLITZKI.