Gedichte eines großen Erzählers
Michael Köhlmeier legt mit „Ein Vorbild für die Tiere“neue Lyrik vor.
Michael Köhlmeier schrieb gerade an seinem Roman „Telemach“(1995) und arbeitete nebenher an einer Poetikvorlesung über griechische Mythologie, als Alfred Treiber, Programmchef von Ö1, ihn fragte, ob er nicht was davon im Radio erzählen wolle? Anschließend hörte Köhlmeier lange nichts mehr von Treiber. „Ich dachte mir, er hat es vergessen. Irgendwann aber rief er an: Übernächste Woche geht’s los. Ich fragte: Wie viel ist es denn? Er sagte: 13 Folgen à eine halbe Stunde. Ich sagte: Das kann ich unmöglich in der kurzen Zeit schreiben.“Treiber aber entgegnete: „Setz‘ dich ins Studio – und erzähl‘ einfach.“So machte es Köhlmeier dann. Die 80-teilige Sendereihe „Mythen – Michael Köhlmeier erzählt Sagen des klassischen Altertums“wurde ein Riesenerfolg in Österreich.
Lyrik allerdings war bisher nicht so sein Ding. „Ein Vorbild für die Tiere“ist erst sein zweiter Gedichtband. Und auch darin zählen die Texte zu den besten, in denen der Schriftsteller eine Geschichte erzählt. So wie im Gedicht „Hiob“, in dem die Polizei einen Schuldirektor warnt, weil in der Gegend ein Mann in einem blauen Pkw Kinder anspricht: „Wenn sie wollten, sage er,/ Dürften sie junge Katzen streicheln,/ Eis gäbe es auch.“Ein Rundbrief geht an alle Eltern raus, trotzdem steigt ein Bub ins Auto ein. Die Polizei stellt ein Suchkommando zusammen, Hunde sind im Einsatz. „Aber dann kam der Bub zurück,/ Lachte wie ein Mann und erzählte, er habe/ Junge Katzen gestreichelt und Eis gegessen.“
Die meisten der knapp 120 Texte changieren zwischen Lyrik und Pro- sa. Nicht alle haben etwas zu sagen. Oft sind es wie in „Karfreitag 2016“nur knappe Skizzen: „Mit erhobenen Händen/ Standen sie/ Um die Laterne,// Berührten/ Einander/ Am kleinen Finger.“Das war‘s schon und ist für ein Gedicht einfach zu wenig. Ganz private Erlebnisse mit Ehefrau Monika Helfer, die wie Köhlmeier Autorin ist, wechseln mit Allerweltsszenen und Vers gewordenen Augenblicken.
Nicht immer erschließt sich dem Leser der Köhlmeiersche Kosmos, oft gibt es auch wenig, was sich erschließen müsste. „Alles ist erzählenswert“, lautet die Devise dieses Schriftstellers, der gerne behauptet, dass „ein positiver Glanz über jedem noch so banalen Ding“schwebe. Für Köhlmeiers Romane mag das zutreffen. Bei aller Bewunderung für sein Prosawerk, was die Gedichte anbelangt, mag man bei diesem Satz nicht mit ihm gehen.