JFK – auf den Spuren einer
Vor 100 Jahren wurde John F. Kennedy geboren. Das salomonische Alter will nicht recht passen zum Gedenken an einen Mann, dessen Leben so abrupt mit 46 Jahren endete. Der Mythos JFK aber lebt auch ein halbes Jahrhundert danach.
WASHINGTON Es ist nur ein Haus, aber es ist auch eine Pilgerstätte. Drei Stockwerke, rote Backsteinfassade, die Fensterläden in irischem Grün, davor stehen Wallfahrer, die sich nicht ganz sicher sind, ob die Angaben in den Kennedy-Broschüren stimmen. Zumal die Villa nebenan, zwei steinerne Löwen vor dem Eingang, viel mehr hermacht als das von außen eher schlichte Domizil mit der Adresse 3307 N Street NW.
Stimmt alles, hier lebten John und Jacqueline Kennedy, bevor sie am 20. Januar 1961 ins Weiße Haus umzogen. Ein Stück die stille Straße im Stadtteil Georgetown hinunter liegt Martin’s Tavern, nur eine Kneipe, aber unverzichtbare Station auf dem Weg der Kennedy-Pilger. An einem Tisch am Fenster soll Jack, wie Amerikaner Leute mit dem Vornamen John gern nennen, der gerade aus London zurückgekehrten Reporterin Jacqueline Lee Bouvier einen Heiratsantrag gemacht haben, am 24. Juni 1953. Drei Wochen zuvor war Elizabeth II. zur britischen Königin gekrönt worden, und Jackie hatte für die Zeitung „Washington Times Herald“darüber berichtet. Im Januar 1961, auch das gehört zum Legendenschatz in Martin’s Tavern, soll Jack in seinem Stammlokal den ersten Entwurf der Rede geschrieben haben, die er zur Amtseinführung halten wollte. Auf gelbem, liniertem Papier, wie es in den USA Anwälte für Notizen verwenden. „Ich bin ein Idealist ohne Illusionen“, soll er der jungen Frau Bouvier irgendwann bei einem Rendezvous gesagt haben, als die ihn fragte, wie er sich definiere.
John F. Kennedy wäre am 29. Mai 100 Jahre alt geworden. Das salomonische Alter passt nicht recht zum Gedenken an einen Mann, der das Image eines jugendlichen Energiebündels pflegte, obwohl ihm in Wahrheit ein chronisches Rücken- zer-Preisträger Norman Mailer zu Wort. Dass Kennedy jung und schön war und seine Frau attraktiv, schrieb Mailer in einem vor 54 Jahren gedruckten Essay, „waren keine nebensächlichen, zufälligen Details, sondern neue, wichtige politische Tatsachen“. Amerika sei nun mal ein Land von Individualisten und schon deshalb auf der ständigen Suche nach Helden, die das Ruder in einem Kraftakt herumreißen könnten. Nirgendwo sonst werde die aufklärerische Erzählung der Renaissance, wonach in jedem Menschen das Potenzial des Außergewöhnlichen schlummert, leidenschaftlicher gepflegt als hier. „Und Kennedy war ein Held, wie ihn Amerika brauchte, passend zu seiner Zeit.“
Geboren am 29. Mai 1917 in Brookline, einem Villenvorort Bostons, war John Fitzgerald Kennedy der zweite Sohn einer Familie, die schließlich neun Kinder haben würde. Sein Vater Joseph scheffelte an der Börse ein großes Vermögen. Vor Ehrgeiz brennend, benutzte er Geld und Einfluss, um für seine Söhne Türen in der Politik aufzustoßen. Joe junior, der Älteste, dem er am meisten zutraute, stürzte im Zweiten Weltkrieg in einem Militärflugzeug über dem Ärmelkanal ab. An seiner Stelle machte der Zweitgeborene Karriere, John F., lange belächelt als dandyhafter Schürzenjäger. 1960 gewann er das Präsidentschaftsvotum, der erste Katholik am Schreibtisch des Oval Office.
Den Ausschlag gab wohl, dass er das damals noch junge Medium Fernsehen besser beherrschte als sein Rivale Richard Nixon, so wie Donald Trump mehr als 50 Jahre später am besten mit Twitter umzugehen wusste. Rhetorisch setzte er Glanzpunkte, etwa bei seiner Inauguration – „frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun kannst“. Unter Kennedy entstand das Peace Corps, dessen Freiwillige von Belize bis Burkina Faso Entwicklungshilfe kau zog seine Raketen aus Kuba ab, Washington Raketen aus der Türkei. Letzteres, darauf bestand Kennedy, musste allerdings geheim bleiben, wollte er doch mit Blick auf die Falken daheim als Sieger des Nervenspiels gelten.
Im Juni 1963 hielt er vor dem Rathaus Schöneberg eine umjubelte Rede, gipfelnd in den legendären Worten „Ich bin ein Berliner“. Des Deutschen nicht mächtig, hatte er sich in angelsächselnder Lautschrift auf einer Karteikarte notiert, wie er es auszusprechen hatte: „Ish bin ein Bearleener“. Daraus wurde ein solcher Erfolg, dass Kennedy scherzte, er würde seinem Nachfolger jederzeit raten, in Zeiten der Entmutigung einfach nach Deutschland zu reisen. Nach Vietnam entsandte er Tausende Militärberater, um die prowestliche Regierung des Südens zu stützen, einen Truppeneinsatz in großem Stil befahl er allerdings nicht. Ob auch Kennedy, wie sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, im vietnamesischen Sumpf versunken wäre? Ob ihn der Krieg entzaubert hätte? Es sind Fragen, über die sich Historiker bis heute den Kopf zerbrechen.
Stephen Kennedy Smith war sechs, als sein Onkel mit einer Kinderschar im Golfwägelchen dahinraste, „so draufgängerisch, dass er uns alle zu Tode ängstigte“. Der Neffe sitzt im Nationalarchiv, einer jener nach römischen Vorbildern errichteten Säulenprachtbauten Washingtons, die das Zentrum der Stadt wirken lassen, als wäre es ein großes Freilichtmuseum. Er nimmt den Mythos unter die Lupe. Versucht, die Sehnsucht zu erklären. Und ohne Trump auch nur ein einziges Mal zu erwähnen, beschreibt er den Anti-Trump. JFK als großen Freund bissiger Ironie, bissige Selbstironie inbegriffen. „Das Einzige, was uns überraschte, als wir ins Amt kamen, war, dass die Lage wirklich so schlimm ist, wie wir sie immer beschrieben hatten“, zitiert ihn sein Neffe.
Die Erinnerung im Auditorium des Nationalarchivs fällt umso wehmütiger aus, weil heute einer im Weißen Haus residiert, der mit sarkastischem Humor so gar nichts anzufangen weiß. Trump fühlte sich angegriffen von den Medien, die wahrheitsgemäß dokumentierten, dass die Zuschauerzahl bei seiner Inauguration nicht annähernd heranreichte an den Januar 2009, als Obama zum ersten Mal vereidigt wurde. Als er nicht durchkam mit seinen „alternativen Fakten“, wurde er wütend. Auch Kennedy hat geflunkert, wenn es um Zuschauerzahlen ging. Einmal, nach einer Kundgebung im Wahlkampf des Jahres 1960, hat es sein Pressesekretär Pierre Salinger, Spitzname Plucky, diesbezüglich stark übertrieben. Während sich Trump regelrecht verbiss in seine Version, schaffte Kennedy die Irritationen mit einem Witz aus der Welt: „Plucky zählt immer die Nonnen“, parierte er eine kritische Frage. „Und dann multipliziert er das Ergebnis mit hundert.“