ANALYSE Nachrufe
auf Menschen, die es zu einiger Bekanntheit gebracht haben, lesen sich oftmals spannend wie ein Roman. Wir lieben sie, weil darin nicht nur eine Reise zu großen Toten beginnt, sondern auch zu uns selbst.
che Kommunikationshandlung ist der Nachruf ein Medium sozialer Austauschprozesse, schreibt der Wissenschaftler Thomas Goetz in seiner „Poetik des Nachrufs“.
Tatsächlich haben noch viele den Moment vor Augen, als etwa Hans-Dietrich Genscher den verzweifelten DDRBürgern in der deutschen Botschaft in Prag verkündete, dass sie ausreisen dürfen. Der früh gestorbene Autor Wolfgang Herrndorf hat einer nicht geringen Zahl von Zeitgenossen mit seinen Büchern das hinterlassen, was sie auch in den Liedern von Michael Jackson, Prince, Leonard Cohen oder George Michael gefunden haben: Leidenschaft und Antworten. Ansichten bekommen Bedeutung, Blickwinkel werden bestätigt. Wer waren diese fernen und doch nahen Wesen, die uns das Gefühl gaben, verstanden zu werden? Das fragt man nicht nur sich selbst. In solchen Augenblicken kollektiver Erinnerung entsteht ein seltenes Gefühl von Gemeinschaft.
Überhaupt bedeutet sich zu erinnern ja nicht, die Vergangenheit so wiederherzustellen, wie sie wirklich gewesen ist. Im Erinnern steckt vielmehr der produktive Akt einer neuen Wahrnehmung. Ob alles wahr ist oder ob wir uns nur wünschten, dass es so gewesen sein möge – wer kann das am Ende wirklich trennen? Und weil Vergangenheit nie gewachsen ist, sondern eine kulturelle Schöpfung, können Nachrufe Farbtupfer unserer Erinnerungskultur sein.
Für den Tod existiert keine positive Anschauung, und womöglich ist die Beschäftigung mit dem Leben und Sterben Anderer eine abgeschwächte, erträgliche Form, der eigenen Endlichkeit gefasst ins Auge zu sehen. Wie werden wir dereinst gemessen? So gesehen sind Nachrufe eine Art Versöhnungsversuch mit dem Tod, in jedem Falle säkulare Seelenämter, die uns nach der Lektüre irgendwie getröstet in die Gegenwart entlassen: Am Ende gibt es auch an diesem Punkt keine Gewissheit, aber ein wenig mehr Hoffnung, dass sich manches zusammenfügen kann und am Ende vielleicht doch etwas bleibt. Eine Weile jedenfalls.