Im Rentenalter nicht arm sein müssen
Dass vor allem in Nordrhein-Westfalen das Altersarmutsrisiko stark zunimmt, muss auch die Bundespolitik beunruhigen, schließlich wohnt hier gut ein Fünftel aller Deutschen. Der jahrzehntelange Strukturwandel im Ruhrgebiet schlägt sich eben auch in geringeren Alterseinkünften nieder. Noch ist der Anteil derer, die auf Sozialhilfe im Alter angewiesen sind, mit drei, vier Prozent gering. Doch er wird steigen. Experten gehen von bundesweit sieben bis acht Prozent in 20 Jahren aus. Auch danach gibt es kaum Entwarnung.
Die nächste Bundesregierung wird sich unbedingt mit dem wachsenden Armutsrisiko der kommenden Rentnergenerationen ab 2030, 2040, 2050 beschäftigen müssen. Das Rentenniveau einfach mit einem tiefen Griff in die Steuerkasse zu stabilisieren, wie es SPD, Grüne und Linke wollen, greift dabei zu kurz. Denn viele, die von Altersarmut bedroht sind, werden wegen zu geringer Beitragszahlungen auch bei einem höheren Rentenniveau keine auskömmliche Rente beziehen können. Klüger ist eine energischere Wirtschafts- und Bildungspolitik, die darauf zielt, möglichst alle Menschen zu befähigen, im Erwerbsalter ein so hohes Einkommen zu erwirtschaften, dass sie im Rentenalter nicht arm sein müssen. BERICHT ALTERSARMUT TRIFFT NRW . . ., TITELSEITE
Situation verkannt
Der Vorfall in der Essener Bank hatte vor einem Jahr eine bundesweite Debatte über die Verrohung unserer Gesellschaft ausgelöst. Ein Aufschrei der Entrüstung war durch die Republik gegangen. Die Tat wurde zu einem Symbol für Gefühlskälte. Wie können vier Menschen einem am Boden liegenden Rentner nicht helfen?
Dass es Menschen gibt, die im Notfall lieber wegsehen als einzugreifen, ist leider nicht ungewöhnlich. Die Beweggründe für ein solches Verhalten sind so vielschichtig wie situationsabhängig. Manche haben schlichtweg Angst, etwas falsch zu machen oder selbst zum Opfer zu werden. Oder sich strafbar zu machen. Andere meinen, gerade wenn mehrere Menschen vor Ort sind, dass die anderen schon helfen werden – oder es sogar schon getan haben.
Im Essener Fall griffen die Angeklagten nicht ein, weil sie die Situation verkannten. Sie hielten den Verletzten für einen schlafenden Obdachlosen. Das macht ihr Verhalten nicht besser, aber etwas erklärbar. Sie haben den Mann also nicht bewusst seinem Schicksal überlassen – sie haben ihn „nur“ignoriert. BERICHT
Die Brexit-Provokation
Man muss Boris Johnson lassen, dass er es meisterhaft versteht, größtmöglichen Schaden anzurichten. In der Brexit-Debatte griff er geschickt die antieuropäischen Ressentiments vieler Briten auf, vermengte sie mit Halbwahrheiten und glatten Lügen und manövrierte das Königreich damit in eine schier ausweglose Lage.
In den folgenden Schockwellen drohte das Schiff der britischen Konservativen fast zu kentern. Und kaum hat Premierministerin Theresa May etwas Oberwasser mit einer leicht realistischeren Sicht auf den Austritt, da grätscht ihr Außenminister dazwischen. Hätte die Pfarrerstochter in Downing Street ihre Regierung im Griff, müsste sie Johnson entlassen. Doch angesichts ihrer geschwächten Stellung nach der desaströsen Unterhauswahl muss sie den Unruhestifter weiter einbinden. Das Chaos bleibt.
Trotzdem hat May keine andere Wahl, als einen gemäßigten Brexit-Kurs zu fahren. Sie muss sich bei den Europäern Zeit kaufen, um im Genuss der Zollunion zu verbleiben. Handelsschranken zur EU würden der britischen Wirtschaft den Garaus machen. BERICHT