Deutschtürken vor der Wahl
Erdogan warnt vor SPD, CDU und Grünen. Dabei stehen 70 Prozent der wahlberechtigten Türkischstämmigen der SPD nahe.
DÜSSELDORF/BERLIN Angesichts der Vielzahl immer noch unentschlossener Wähler und der nah beieinanderliegenden Umfragewerte bekommt das Stimmverhalten der knapp 1,5 Millionen wahlberechtigten Deutschtürken bei der Bundestagswahl eine besondere Bedeutung. Die Spannungen zwischen Berlin und Ankara sind auch an ihren Stimmungen nicht spurlos vorübergegangen. Frühere Wahltrends könnten ins Wanken geraten.
Nach Untersuchungen von Meinungsforschern haben sich rund 70 Prozent der Deutschen mit türkischen Wurzeln an der letzten Bundestagswahl beteiligt. Wie das Institut Data4U herausfand, sind für sie Themen ausschlaggebend, die sie als Migranten betreffen, also die Einstellungen der jeweiligen Partei zum Islam, zur Diskriminierung, zur Integration und zur Einbürgerung. Nach einer Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen fühlen sich traditionell 70 Prozent der Deutsch-Türken der SPD verbunden, 13 Prozent den Grünen und zehn Prozent der Linken. Mit der Union freunden sich gerade einmal sechs Prozent an.
Doch die starke SPD-Nähe ist in den vergangenen Monaten unter Druck geraten, als Außenminister Sigmar Gabriel die Türkei-Politik verschärfte und Kanzlerkandidat Martin Schulz den Abbruch der EUBeitrittsverhandlungen verlangte. Im Gegenzug forderte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Deutschtürken auf, bei der Bundestagswahl weder SPD noch CDU noch die Grünen zu wählen, da sie „Feinde der Türkei“seien, und er ließ sogar eine „Reisewarnung“für Türken im angeblich gefährlichen Deutschland verbreiten. Sein Wort hat in der Zielgruppe Gewicht: In Deutschland war der Rückhalt für seine Verfassungsreform überdurchschnittlich hoch.
Gestern bestellte Erdogan zudem erneut den deutschen Botschafter ein. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes ist es das 17. Mal in der rund zweijährigen Amtszeit von Botschafter Martin Erdmann, dass die Türkei zu einer solchen diplomatischen Form des Protests greift. Einem Bericht des „Spiegel“zufolge soll es bei dem Gespräch im türkischen Außenministerium um die Armenien-Resolution des Bundestags gehen. Die Türkei zeigte sich im Juni 2016 entrüstet über die Entscheidung der deutschen Abgeordneten, die Verbrechen an den Armeniern als Völkermord einzustufen. Hierzulande gründete sich als Reaktion auf die Resolution die Erdogan-nahe Partei „Allianz Deutscher Demokraten“.
Für die Deutschtürken ist die Türkei also längst zum Wahlkampfthema geworden.