„Wir können die Autoindustrie nicht zwingen“
Die Umweltministerin über politischen Druck auf die Diesel-Hersteller, neue Förderprämien und Andrea Nahles als Kanzlerkandidatin.
BERLIN Wir treffen die neue Bundesumweltministerin in ihrem Berliner Büro. Svenja Schulze muss sich noch einfinden: Eine Wohnung hat sie in der Hauptstadt bisher nicht und über Ostern studierte sie 1500 Seiten Akten. Im Gespräch gibt sie sich offen und bestimmt. Frau Schulze, Sie haben von der Autoindustrie technische Nachrüstungen für Diesel gefordert und prompt eine Absage kassiert. Was folgt jetzt? SCHULZE Diese Art von Antwort ist leider typisch. Das war bei der Einführung des Katalysators auch nicht anders. Am Ende ging es dann doch und hat der deutschen Automobilindustrie sicher nicht geschadet. Es mag ja sein, dass Nachrüstungen in einigen Modellen technisch schwieriger sind als in anderen. Aber dann erwarte ich von den Herstellern, dass sie zumindest das möglich machen, was technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar ist. Sie sind also zuversichtlich, dass die Industrie noch einknicken wird? SCHULZE Es geht nicht um Einknicken. Die Autobauer haben Diesel als sauber verkauft, die auf der Stra- ße nicht sauber sind. Darum müssen sie sie auf ihre Kosten nachrüsten. Man stelle sich vor, Hersteller anderer Konsumgüter würden sich so verhalten. Die würden doch nie damit durchkommen. Unabhängig davon wären technische Nachrüstungen auch für die Hersteller selbst eine gute Strategie, wenn sie den Ruf des Diesels wiederherstellen wollen. Trotzdem bleibt offen, was Sie tun können. Welche Sanktionen gibt es? SCHULZE Tatsächlich fehlt uns leider der juristische Hebel, um technische Nachrüstungen auf Kosten der Autohersteller zu erzwingen. Deswegen kommt es darauf an, dass wir den politischen Druck erhöhen. Die Software-Updates hat die Bundesregierung letzten Sommer auch nur zur Hälfte erzwungen. Den Rest hat die Industrie freiwillig angeboten, weil wir gemeinsam Druck gemacht haben. Darum habe ich meine Kollegen Scheuer, Altmaier und Barley auch gebeten, die Chefs der Autokonzerne gemeinsam zu einem Gespräch einzuladen. Ihr Vorstoß bei der EU für kostenfreien Nahverkehr stieß bei den Kommu- nen auf heftige Kritik. SCHULZE Das war eine mutige Idee aus dem Kanzleramt, die eine gute Debatte ausgelöst hat. Wir arbeiten derzeit mit fünf Modell-Städten zusammen, um Ideen für saubere Luft zu testen. Es stimmt, der kostenlose Nahverkehr ist inzwischen vom Tisch, aber dafür bekommen wir viele andere gute Vorschläge, wie man den Nahverkehr attraktiver machen kann. Viel bewegen ließe sich auch im Segment der Kleintransporter, insbesondere beim Lieferverkehr. Hier könnte sich die Elektromobilität als Erstes durchsetzen, weil die Strecken meist kurz und gut planbar sind und die Autos nachts aufladen können. Darum setze ich mich dafür ein, dass der bisherige Zuschuss von 4000 Euro für kleine E-Lieferwagen deutlich erhöht wird. 7000 Euro wäre eine Größenordnung, ab der sich die Flottenumstellung für viele Logistiker und auch Handwerker lohnt. Könnte eine Art „Verzichtsprämie“helfen, damit sich Menschen gar nicht erst ein Auto anschaffen und dafür Geld für den öffentlichen Nahverkehr hätten? SCHULZE Nein, ich halte nichts von erzieherischer Politik. Ich setze auf die Vernunft der Menschen und darauf, durch gute Angebote umweltfreundliches Verhalten attraktiv zu machen. Als Generalsekretärin der NRW-SPD haben Sie Mut für den Kohleausstieg gefordert. Wann kommt der? SCHULZE Wir setzen jetzt eine Kommission für den Strukturwandel ein, die Konzepte erarbeiten soll, um alle Menschen mitzunehmen. Die wird auch ein Enddatum für die Kohleverstromung vorschlagen. Das geht ökonomisch, und das geht mit Blick auf die Versorgungssicherheit. Die große Herausforderung ist, dass wir das auch sozial hinbekommen und neue Perspektiven schaffen nicht nur für die Kumpel, sondern auch für ihre Kinder und Enkelkinder. Wären Sie dafür, dass Andrea Nahles SPD-Kanzlerkandidatin wird? SCHULZE Die Frage steht jetzt wirklich nicht an. Grundsätzlich wäre es sicher gut, wenn die Kanzlerkandidatur mal eine Frau übernimmt. Aber jetzt wollen wir Andrea Nahles erstmal beim Parteitag zur neuen SPD-Chefin wählen, das ist historisch. Meine Stimme bekommt sie. Wackelt ihre Wahl zur Parteichefin? SCHULZE Nein. Aber klar ist, dass wir sehr intensiv über die notwendigen Erneuerungsmaßnahmen der Partei diskutieren müssen und werden. Wie kann sich die SPD in der Regierung erneuern? SCHULZE Wir haben schon bei unserem Parteitag in Bonn mit der kontroversen, aber nach vorn gerichteten, ausführlichen und sehr guten Diskussion gezeigt, dass wir einen neuen Weg gehen. So eine Form der Führung, die die Partei zu einem einheitlichen Kurs zwingt, wird es nicht mehr geben. Im Koalitionsvertrag ist eine Bilanz zur Halbzeit der Wahlperiode vereinbart. Kann das der Zeitpunkt sein, an dem die SPD die Koalition mangels erfolgreicher Umsetzung der Vereinbarungen aufkündigen könnte? SCHULZE Der Koalitionsvertrag gilt für die gesamte Wahlperiode. Wir wollen von jetzt an dreieinhalb Jahre gemeinsam gut regieren. Das ist unser Auftrag. Es muss eine Verständigung darüber geben, ob wir unsere Zukunftsversprechen eingehalten haben. Es darf nicht passieren, dass Absprachen irgendwo im Kanzleramt verhungern. Die Zwischenbilanz nehmen wir sehr ernst. Die Vereinbarung steht ja nicht einfach nur so im Koalitionsvertrag. JAN DREBES UND KRISTINA DUNZ FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.