Erste Stunde: Grundgesetz
Gelsenkirchen gehört zu Deutschland, zweifellos. Aber auch gebürtige Gelsenkirchener können das Land integrationspolitisch in Wallung bringen. Ilkay Gündogan und Mesut Özil etwa. Die deutschen Fußball-Nationalspieler haben sich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan fotografieren lassen; Gündogan hatte sein Trikot noch mit einer ehrerbietigen Widmung verziert.
Beide besuchten sogar den Bundespräsidenten, um, wie der mitteilte, „Missverständnisse“auszuräumen. Gündogan betonte danach, er habe eben „auch eine türkische Seite“in sich. Zugegeben: Nun eine Loyalitätsdebatte zu beginnen, mag überzogen sein – wir leben immerhin im 21. Jahrhundert. Haarsträubend aber bleibt das Verständnis demokratischer Kultur, das hier zutage trat: Wie kann man sich als deutscher Staatsbürger, Doppelpass hin oder her, im türkischen Wahlkampf mit diesem Autokraten zeigen?
Die Frage ist nicht neu, ob und, wenn ja, wie unser Staat seine Werte und Grundregeln vermitteln sollte. Sie Flüchtlingskindern vor dem regulären Unterricht beizubringen, haben kürzlich die Fraktionschefs der Union in Bund und Ländern gefordert. Gündogan und Özil sind in Gelsenkirchen aufgewachsen. Ihr Verhalten lässt daran zweifeln, ob es sinnvoll ist, Wertevermittlung auf Flüchtlinge zu beschränken. Und im zweiten Schritt: ob es sinnvoll ist, sie auf Menschen mit Migrationshintergrund zu beschränken. Auch viele Einheimische müsse man integrieren, ätzte neulich Lajos Fischer vom Bundeszuwanderungsrat.
Grob gesagt, dreht sich die Debatte um Gründe und Formen des möglichen Unterrichts sowie das Selbstverständnis der Bundesrepublik. In zweien der drei Bereiche führt der Vorschlag der Union in größere argumentative Schwierigkeiten.
Zum Selbstverständnis: Die „konstitutionellen Normen“, die das Unionspapier nennt, sind allesamt im Grundgesetz niedergelegt – Menschenwürde, demokratische Grundordnung, Presse- und Meinungsfreiheit, Gewaltmonopol des Staates, Gleichberechtigung von Mann und Frau. Diese Werte waren über alle Leitkulturdebatten hinweg der gemeinsame Nenner der Integrationspolitiker. Der Verweis der Union auf die (freiwilligen) „Rechtsstaatsklassen“in Hessen ist daher nur konsequent, ebenso wie der Verzicht, sich mit Alltagskultur zu beschäftigen, mit Händeschütteln etwa oder Kleidungsbräuchen. Das Unionspapier umreißt den Wesenskern unserer Demokratie: eben das Grundgesetz. Sich an ihm zu orientieren, ist die notwendige, aber auch schon hinreichende Bedingung gedeihlichen Zusam-