Alarm im Darm
Der Name dieser Krankheit ist ein Zungenbrecher, viele haben den Begriff noch nie gehört, obwohl die Zahl der Betroffenen ständig wächst. Was unter anderem daran liegt, dass wir immer älter werden. Mit den Jahren steigt die Wahrscheinlichkeit, an ihr zu erkranken – Divertikulitis. Gemeint ist eine Reizung der so genannten Divertikel: winzige und bei sehr vielen Menschen vorhandene Ausstülpungen des Darms, in denen sich Entzündungen bilden können.
Die können harmlos verlaufen und von selbst oder mit ambulanter medikamentöser Behandlung wieder verschwinden oder sehr ernsthafte Beschwerden verursachen – mit einer Operation am Ende, bei der das betroffene Stück des Darmes entfernt wird.
Die Divertikulitis gehört nach Meinung von Christian Weik (54), Chefarzt der Inneren Abteilung am Augusta-Krankenhaus in Düsseldorf, eindeutig zu den Zivilisationskrankheiten. Das sind Erkrankungen, die mit Wohlstand und der zu guten oder einseitigen Ernährung zusammenhängen. Zu viel rotes und unbehandeltes Fleisch, Zucker, weißes Mehl – heutzutage übliche Speisen, die wir zwar lieben, die unser Körper aber nicht ohne Weiteres verstoffwechseln kann. „Wir sind eigentlich noch auf Steinzeit-Ernährung eingestellt – aber damals gab es kein weißes Mehl,“sagt die Dermatologin Jael Adler. Sie untersucht die Folgen einer solchen Ernährung für die Haut.
Was die von uns so geliebten, aber oft ungesunden Nahrungsmittel im Darm anrichten, sehen Mediziner wie der Gastroenterologe Weik und der Chirurg Karl Heinz Schultheis nahezu täglich. Divertikulitis ist eine dafür typische Erkrankung. Sie trifft rund 25 Prozent der von solchen Darmtaschen betroffenen Menschen – aber die Zahl der jungen Patienten steigt, haben die beiden Mediziner in den letzten Jahren registriert. Sie wissen aber auch, dass falsche Ernährung als Ursache nur ein Aspekt ist; manches ist unklar bei den Hintergründen dieser Krankheit.
Mit zunehmendem Alter wächst die Zahl der Menschen, in deren Darm – meist im Dickdarm – sich solche Ausbeulungen bilden. Das hängt vor allem mit der zunehmenden Gewebeschwäche zusammen, die auch den Darm betrifft. Die weitaus meisten jedoch merken nicht, solche Darmtaschen zu haben, weil diese unauffällig bleiben.
Vor allem an den Stellen, wo Blutgefäße in den Verdauungsapparat münden, kommt es zu solchen Ausbuchtungen. Setzt sich Stuhl darin ab, der nicht mehr transportiert wird, kann es zu Kotsteinen kommen und in der Folge zu den Entzündungen, die für den Patienten mit starken Schmerzen, Fieber und auch Blasenschwäche verbunden sind. Die tritt ein, weil das entzündete Darmstück auf die Blase drückt. Häufig leiden diese Menschen unter starker Verstopfung. Die Entzündungen gehen mit Schleimhautschwellungen einher, die einen normalen Transport der verdauten Nahrung beeinträchtigen. Der gestaute Stuhl wiederum unterhält die Divertikulitis.
Diagnostiziert wird die Divertikulitis sicher durch Ultraschall, Computertomografie (CT) und eine Bestimmung der Entzündungswerte im Blut. Vor allem beim Ultraschall bedarf es allerdings des Blicks eines erfahrenen Arztes, der erkennt, was er vor sich auf dem Bildschirm sieht, und es richtig zu deuten weiß.
Ist die Entzündung in einem harmlosen Stadium, reicht zur Heilung oft eine Diät und körperliche Schonung. Ist sie fortgeschritten, greifen die Ärzte den Entzündungs- herd mit Antibiotika an. In dieser Zeit ist leichte Kost angesagt, Körner dürfen auf keinen Fall gegessen werden, weil sie sich in den Divertikeln absetzen können. Und tritt die schmerzhafte Form mehrfach nacheinander in einem kurzen Zeitraum auf, raten viele Mediziner heutzutage zur Operation.
Ob und ab wann dieser Eingriff sinnvoll ist, war unter Medizinern lange umstritten – und ist es heute noch. Schließlich geht es am Ende darum, ein Stück des Darms zu entfernen – eine ernste Sache also. Derzeit tendiert eine Mehrheit dazu, Patienten mit mehrfacher Divertikulitis binnen eines Zeitraums von einigen Monaten unters Messer zu nehmen.
Der Chirurg Marc Renter, Chefarzt am St.-Josef-Krankenhaus in Moers und Experte für solche Eingriffe, sieht das Ganze noch differenzierter. Nach seiner Erfahrung müssen auch mehrfach betroffene Patienten nicht unbedingt operiert werden, aber am Ende entscheide das Befinden des Betroffenen. Renter: „Wenn die Entzündung latent bleibt, der Patient sich nicht wirklich wohlfühlt und immer wieder Beschwerden auftreten, dann rate auch ich zur Operation.“Nach seiner Erfahrung ist die erste Entzündung meist die schwerste, die ande- ren danach verlaufen sehr häufig harmloser. Was den Eingriff überflüssig machen würde.
Jedenfalls erfolgt die OP, wenn möglich, laparoskopisch – das heißt: Man schneidet nicht die gesamte Bauchdecke auf, sondern geht mit kleinen Schnitten seitlich an den Entzündungsherd heran und sieht auf dem Bildschirm, was zu tun ist. Der Chirurg muss jedoch bei dieser Form des Eingriffs immer damit rechnen, auf Komplikationen zu stoßen und dann doch den großen Schnitt machen zu müssen.
Grundsätzlich erfolgt der Eingriff erst, wenn die akute Entzündung wieder abgeheilt ist (die Ärzte sprechen von „abkühlen“), weil es als riskant gilt, erkrankte Bereiche des Darms nach dem Herausschneiden des befallenen Teils wieder zu verbinden. Lässt sich der Eingriff jedoch auf keinen Fall verschieben (beispielsweise bei einem Darmdurchbruch, bei dem Stuhl in die Bauchhöhle gelangt), wird ein temporärer Anus praeter (also künstlicher Darmausgang) angelegt. Der verbleibt sechs Monate, danach wird die natürliche Verbindung wieder hergestellt. Für den Patienten jedoch ist dieser künstliche Darmausgang eine enorme mentale Belastung. Außerdem ist für die Rückverlegung eine erneute OP nötig.
Verbunden werden die beiden getrennten Darm-Enden durch eine Art Metallring, der übergestülpt und festgetackert wird, sagt Dietmar Simon (Bethesda-Krankenhaus Duisburg). Er ist Spezialist für solche OPs. Um sicherzugehen, dass die neue Verbindung wirklich dicht ist, führt er noch während des Eingriffs mehrere Tests durch: Er setzt das Stück unter Wasser, führt Luft hinein und schaut nach aufsteigenden Blasen, die Undichtigkeit zeigen würden wie bei einem Fahrradschlauch. Zudem lässt er eine gefärbte Flüssigkeit durch den Darm laufen. Träte sie aus, wäre das unübersehbar. Zuletzt kontrolliert er die Verbindung optisch von innen. An dieser Stelle ist eine solch penible Kontrolle von höchster Wichtigkeit: Würde Stuhl austreten und den Bauchraum verunreinigen, wird es für den Patienten lebensgefährlich.
Der aufgesetzte Ring ist übrigens aus Titan. Kleines Problem am Rande: Manche fürchten mit dem Metallteil im Körper Ärger bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen. Simon kennt die Frage. Seine Antwort: „Die Scanner reagieren darauf nicht.“
Eine Operation ist nur sinnvoll, wenn eine Entzündung nicht verschwindet und der Patient sich unwohl fühlt