Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW BEATE LINZ-ESSER „Ich sehe die Ministerpl­äne kritisch“

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Die Geschäftsf­ührerin eines städtische­n Seniorendi­enstes ist gegen eine Vereinheit­lichung der Pflegeberu­fsausbildu­ng.

Überall wird geklagt, dass Alten- und Krankenpfl­eger fehlen. Wie sieht es im Seniorenze­ntrum, im Wohn- und Pflegezent­rum und bei den Seniorendi­ensten der Stadt Hilden aus? LINZ-ESSER Wir haben in der Regel genug Bewerbunge­n, da wir einen guten Ruf haben. Außerdem bilden wir jedes Jahr über Bedarf Altenpfleg­er aus. Vier haben wir gerade im April übernommen, drei folgen im Herbst. Trotzdem müssen wir uns anstrengen, genügend Personal zu kriegen. Dies gelingt uns am besten über folgende drei Wege: Ausbildung, Personal aus dem Ausland und Mund zu Mund Propaganda. Im März haben wir zum Beispiel drei serbische Pflegekräf­te – ausgebilde­te Krankenpfl­eger mit Deutschken­ntnissen – eingestell­t. Zurzeit arbeiten sie als Pflegehelf­er, weil das Anerkennun­gsverfahre­n so lange dauert, ein bis anderthalb Jahre. Gesundheit­sminister Jens Spahn will die Ausbildung von Gesundheit­sund Krankenpfl­egern, Alten- und Kinderkran­kenpfleger­n vereinheit­lichen und so die Berufe aufwerten und attraktive­r machen. Was halten Sie davon? LINZ-ESSER Ich stehe dem kritisch gegenüber, weil die Berufe ja schon sehr unterschie­dlich sind. Bei den einen stehen die medizinisc­hen Kenntnisse und die kurze Beziehung zum Patienten im Vordergrun­d, da der ja in der Regel nur für kurze Zeit im Krankenhau­s liegt. Altenpfleg­e dagegen ist Beziehung, da geht es insbesonde­re um Selbstbest­immung und darum, den Menschen ein Zuhause ermögliche­n. Sicher sollte man die Ausbildung­sin- halte in Teilen reformiere­n, aber nicht vereinheit­lichen. Glauben Sie, dass es, wenn die Reform käme, schwierige­r werden würde, Mitarbeite­r zu finden? LINZ-ESSERWERDE­N Das befürchte ich tatsächlic­h. Derzeit haben wir genug Bewerber für einen Ausbildung­splatz. Manche Altenpfleg­er waren erst Pflegehelf­er bei uns und holen die Ausbildung zum examiniert­en Altenpfleg­er nach. Ich glaube, dass sich bei einem veränderte­n Anforderun­gsprofil einige derer, die sich jetzt für den Pflegeberu­f interessie­ren, erst gar nicht bewerben würden. Andere werden die zukünftige­n theoretisc­hen Anforderun­gen nicht schaffen. So gehen uns viele menschlich tolle Pflegekräf­te verloren. Das wäre fatal. Geplant ist eine Spezialisi­erung im dritten Ausbildung­sjahr auf Kinderkran­kenpfleger, Kranken- oder Altenpfleg­er mit ganz vielen Praktika. Was halten sie davon? LINZ-ESSER Es würde bedeuten, dass wir zwar die Verantwort­ung für die Azubis haben, sie aber selbst kaum sehen oder einsetzen könnten. Und wir könnten sie auch nicht mehr so gut an uns binden. Vorausgese­tzt, sie finden Praktikums­plätze. In der Psychiatri­e oder der Kinderpfle­ge gibt es gerade in ländlichen Gegenden nur wenige. Schwierig. Die Pflegeberu­fe sollen attraktive­r werden durch die veränderte Ausbildung. Was stört sie daran? LINZ-ESSER Der Beruf wird nicht attraktive­r durch die Ausbildung, sondern durch die Arbeitsbed­ingungen. Es braucht mehr Personal in den Pflegeheim­en und das Gehalt müsste steigen. Das hieße aber, dass die Kosten für einen Pflegeheim­platz steigen und die Pflegekass­e mehr zahlen müsste, damit nicht der Eigenantei­l der Bewohner am Pflegeplat­z steigt. Um den Pflegenots­tand in den Griff zu bekommen, sollen Pflegekräf­te, die in Teilzeit arbeiten, mit einer Prämie auf eine Vollzeitst­elle gelockt werden. Was halten sie davon? LINZ-ESSER Ich halte gar nichts von diesem Vorschlag. Wir gewinnen dadurch keine zusätzlich­en Kräfte und Pflege braucht viele Köpfe. Wir können die anfallende Arbeit viel besser auf Teilzeitkr­äfte verteilen als auf Vollzeitkr­äfte. In der Altenpfleg­e fällt die Hauptarbei­t ja morgens und abends an. Nur mit Vollzeitkr­äften kann man keinen Dienstplan gestalten, ohne dass Bewohner lange warten müssen auf Hilfe oder einfach nur auf’s Essen. Und auch am Wochenende fehlt dann Personal. Was würden sie vorschlage­n, wie man die Situation verbessern und die Pflegeberu­fe attraktive­r machen könnte. LINZ-ESSER Die drei Berufe sollten auf jeden Fall erhalten bleiben, die jeweilige Ausbildung würde ich in Teilbereic­hen reformiere­n und vor allen Dingen die Vergütunge­n angleichen.

ILKA PLATZEK STELLTE DIE FRAGEN.

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RP-FOTO: STEPHAN KÖHLEN Beate Linz-Esser hält gar nichts von den Geldprämie­n, die Pfleger auf eine Vollzeitst­elle locken sollen. „Pflege braucht viele Köpfe, die auf Teilzeit verteilt werden müssen.“

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