„Deutschland muss besser zuhören“
Der NRW-Europaminister bangt um ein geeintes Europa, das sich gegen Russland und China behaupten kann.
DÜSSELDORF Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) ist der Freigeist der Landesregierung. Als Medienunternehmer, Anwalt und Vertrauter des verstorbenen Kanzlers Helmut Kohl kennt er mehr von derWelt als die meisten seiner Kabinettskollegen. Gerade feierte er seinen 70. Geburtstag. Dass er die Zuständigkeit für das Ressort Medien wegen eines möglichen Interessenkonfliktes abgeben musste, stört ihn nicht mehr. In seiner Aufgabe als Europaminister geht er voll auf.
Warum ist der Ruf der EU so schlecht?
HOLTHOFF-PFÖRTNER So düster sehe ich das nicht. Die EU ist eine Erfolgsgeschichte, ein in der Geschichte einzigartiger Zusammenschluss von Staaten mit gemeinsamenWerten und Grundrechten, auf den wir stolz sein können. Frieden, Freiheit und Wohlstand haben wir der EU zu verdanken. Wir Deutsche neigen aber dazu, uns auf die Probleme zu fokussieren.
Großbritannien steigt aus, in Italien, Polen und Ungarn regieren europakritische Kräfte, in Deutschland wettert die AfD gegen die Union.
HOLTHOFF-PFÖRTNER Ja, es gibt Probleme und darauf müssen und können wir Antworten finden. Aber ich mache mir im Augenblick mehr Sorgen über das Desinteresse an der europäischen Idee. Gerade die jüngere Generation würde den Zusammenbruch der EU wohl erst bemerken, wenn sie wieder Ro- aming-Gebühren bezahlen müsste. Wir haben uns an die Vorzüge so sehr gewöhnt, dass wir sie als selbstverständlich hinnehmen.
Macht die EU nicht auch Fehler?
HOLTHOFF-PFÖRTNER Jeder macht Fehler. Aber Kritik an der EU ist häufig das Ergebnis gezielter Falschinformation. Ein Beispiel: Der britische Brexit-Befürworter Nigel Farage hat nach dem Referendum selbst zugegeben, dass die von der Pro-Brexit-Kampagne behaupteten Milliardenkosten, die Großbritannien an die EU zu zahlen habe, schlicht falsch waren. Auch in Deutschland glauben viele, als größter Beitragszahler seien wir Opfer der EU. Dabei profitiert kein Land mehr vom Binnenmarkt als die Exportnation Deutschland.
Trotzdem ist die EU ein Verwaltungs-Moloch.
HOLTHOFF-PFÖRTNER Natürlich braucht eine Einrichtung, die eine halbe Milliarde Menschen verwaltet, auch eine große Verwaltung. Aber die vielen unsinnigen Vorschriften, die dort angeblich entstehen, gibt es nicht. Immer wieder wird behauptet, die EU schreibe den Krümmungsgrad von Gurken und Bananen vor. Diese Vorschriften existieren überhaupt nicht.
Was können Sie als Landesminister gegen die Vorurteile ausrichten?
HOLTHOFF-PFÖRTNER Ich habe in diesem Sommer als Vorsitzender der Europaministerkonferenz eine Reise durch die Bundesländer unternommen. Danach haben sich alle Länder darauf verständigt, dass wir anlässlich der Europawahl im kommenden Mai einen gemeinsamen Wahlaufruf starten. Über alle Länder und ihre jeweiligen politischen Farben hinweg werden wir für Europa werben. Wir werben nicht für eine Partei. Wir machen gemeinsame Aktionen, um eine möglichst hoheWahlbeteiligung zu erreichen. Das ist neu.
Worum geht es bei der Wahl?
HOLTHOFF-PFÖRTNER Darum, ob Europa eine Zukunft hat. Es besteht die konkrete Gefahr, dass bei der Europawahl rechtspopulistische und europafeindliche Kräfte eine Mehrheit bekommen, die dieses weltweit einzigartige Projekt Europa aufkündigen. Wer das verhindern will, muss zur Wahl gehen und darf nicht darauf hoffen, dass dies schon andere tun. Es ist gerade jetzt wichtiger denn je, dass Europa zusammensteht. Wir sind mit immer offensiveren geopolitischen Interessen Russlands und Chinas konfrontiert. Auch der amerikanische Präsident zeigt derzeit kein Interesse an einem geeinten Europa.
NRW will beim Brexit Firmen von England nach NRW locken. Wer kommt zu uns?
HOLTHOFF-PFÖRTNER Das ist noch zu früh. Es gibt einen intensiven internationalen Wettbewerb um die Ansiedlung dieser Firmen. Solange nicht klar ist, wie der Brexit genau aussieht, halten sich viele Firmen ihre Entscheidung offen. Aber NRW ist ein attraktiver Standort mit exzellenter Infrastruktur mitten in Europa.
Wie nimmt Europa eigentlich Deutschland wahr?
HOLTHOFF-PFÖRTNER Nicht immer nur positiv. Wir werden mitunter als nerviger Besserwisser gesehen, der anderen Ländern vorschreiben will, wie dort regiert werden soll. Das ist falsch. Man muss gerade die kleineren Partner ernst nehmen. Nur so istVerständigung möglich. Deutschland muss besser zuhören.
Aber vom Zuhören allein wird die Welt ja nicht besser.
HOLTHOFF-PFÖRTNER Doch.Wenn ich eins von Helmut Kohl gelernt habe, dann das: Zuhören ist das Wichtigste. Ich war oft dabei, wie er aufWanderungen mitten imWald auf wildfremde Menschen zuging und sich ausgiebig mit ihnen unterhielt. Weil er wirkliches Interesse an ihnen hatte. Ohne Zuhören gibt es keine Kommunikation, ohne Kommunikation keine Politik. Jedenfalls keine, die wir uns wünschen.
Thomas Reisener führte das Interview. Langfassung auf www.rp-online.de