Abklatschen bei Tempo 267
Der Beruf des Rennfahrers ist sicher nichts für jedermann. Ein Selbstversuch als Beifahrer auf dem Hockenheimring.
HOCKENHEIM Der Moment, in dem plötzlich alles egal ist, kommt bei Tempo 267 auf einer längeren Geraden im Motodrom auf dem Hockenheimring. Benoit Treluyer streckt mir die Faust entgegen. Meine Hände sind allerdings belegt – ich bete zu Gott. Ganz eventuell versucht sich Treluyer auch mit mir zu unterhalten. Hinterher wird er mir jedenfalls auf den Helm klopfen und mich fragen, warum ich denn so angespannt gewesen sei. Es sei doch alles ganz „cool“gewesen. „Easy“. Unter meinem Rennanzug tropft der Schweiß nach unten. In meinem Körper hatte sich nicht vollständig herumgesprochen, dass alles gar nicht so schlimm ist auf dieser Runde über 4574 Meter im sogenannten Renntaxi von Audi.
Der Himmel über der Rennstrecke in der baden-württembergischen Provinz ist wolkenlos. Die Sonne scheint, und Tausende pilgern an diesem Wochenende auf die Anlage zum Finale der Deutschen Tourenwagen Masters – kurz DTM. 20 Rennen auf neun Rennstrecken (Hockenheimring, Lausitzring, Hungaroring, Nürburgring, Circuit Zandvoort, Brands Hatch, Misano und Spielberg) in sechs Ländern. Es ist die 32. Saison, die 19. seit der Neugründung des Formats im Jahr 2000. Die DTM wurde schon oft als überholt deklariert, als ein Relikt aus Zeiten, in denen der Autostandort Deutschland noch Selbstbewusstsein demonstrierte. In dem es nicht laut, nicht schnell, nicht knatterig genug sein konnte.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Mercedes mit seinem Stammsitz in Stuttgart hat sich aus der Serie verabschiedet, um sich umweltbewusster darstellen zu können. Fortan soll verstärkt in die Formel-E investiert werden. In den Geschichtsbüchern wird Gary Paffet als letzter Rennfahrer notiert sein, der für die Schwaben den Titel gewinnen konnte.
In Hockenheim lässt man sich die Stimmung trotzdem nicht vermiesen. Es ist eine Mischung aus Apres Ski und „Malle ist nur einmal im Jahr“-Gegröle. Ein riesen- großer Streichelzoo für PS-Liebhaber. Ein Motorsporterlebnis. Das Motto der DTM „Laut. Nah. Dran.“wird sehr wörtlich genommen. Es gibt fast keine Absperrungen, die Zuschauer können überall einen Blick darauf werfen, wie Mechaniker an den Boliden werkeln, Fahrer von den Renningenieuren instruiert und wie Motoren auf Betriebstemperatur gebracht werden. „Großartig, gell?“, sagt Gerhard Berger und verteilt Schulterklopfer im Sekundentakt.
Berger, 59, ist seit 2017 Chef der DTM-Dachorganisation ITR. Berger ist mehr als nur ein prominentes Gesicht an der Spitze. Er ist Tüftler und Türöffner, er kennt gefühlt jeden in der Szene und vermittelt einem sehr glaubwürdig, dass auch er sich an einen erinnern kann, obwohl man ihm nur einmal die Hand geschüttelt hat. Das Wichtigste aber für die Autokonzerne, die ihreWagen in der DTM fahren lassen: der frühere Formel-1-Fahrer aus Österreich hat der Serie wieder eine Vision gegeben.
Am frühen Nachmittag ist das erste Rennen an diesem Wochenende zu Ende. Die Zuschauer bekommen aber nicht nur ein DTM-Rennen pro Tag geboten, sondern gleich eine ganze Palette von Wettkämpfen mit großen und kleinen Fahrzeugen. Unter anderem die Formel 3, die Vorstufe zur Formel 1, der sogenannten Königsklasse des Motorsports. Für die Serie hatten sich lange vor allem Feinschmecker in- teressiert, doch spätestens seit dem Mick Schumacher, der Sohn von Michael Schumacher, dort mitfährt, ist sie in der Aufmerksamkeit deutlich gestiegen. Für Schumacher ist es ein verdammt wichtiger Tag. Er kann die Meisterschaft gewinnen und sich so für höhere Aufgaben qualifizieren. Dementsprechend groß ist der Andrang, wo immer er auftaucht. Viele, die ihm nun zujubeln, standen auch schon bei seinem Vater an der Strecke. Wenig später liefert Schumacher junior, was man sich von ihm versprochen hat – er ist Meister der Formel-3. Nicht alle bekommen den Triumph im aufrechten Zustand mit. Die Dauer-Party fordert ihre ersten Opfer, die sich an ihr Bierglas klammernd auf dem Bo- den ausruhen.
„Benoit Treluyer?“Gerhard Berger verteilt wieder einen seiner berüchtigten Schulterklopfer. „A Super-Fahrer ist des“, sagt er. „Da kannst dir ruhig noch ein Schnitzel vorher bestellen.“Kurzes Gelächter. Dann zieht Berger weiter und lässt mich im viel zu großen Rennanzug zurück an einer Theke, an der ich auf meinen Einsatz warte. Mit einem Renntaxi über die Strecke, über die kurz zuvor noch die Profis gedonnert sind. Treluyer gehört nicht mehr zum DTM-Zirkus, der dreimalige Sieger von Le Mans hält sich derzeit mit allerlei Jobs über Wasser. Für ihn sind Runden in einem Rennauto auf einer Rennstrecke oft die einzige Möglichkeit zu trainieren. Ganz egal, wer da gerade neben ihm sitzt. An diesem Tag eben ich, 41, Besitzer eines gültigen Führerscheins, dessen bisherige Ausflüge in die Rennfahrerei immer mit Bußgeldern quittiert wurden. Ein besonders guter Beifahrer, so viel Einsicht sollte sein, bin ich normalerweise nicht, weil ich gerne Anmerkungen zu Bremszeitpunkt und Beschleunigung mache.
Auf diesen Gedanken kommt man bei Treluyer während dieser Fahrt allerdings erst gar nicht, weil man erst wieder denken kann, wenn man schon in die nächste Kurve donnert. Kurze, schnelle Beschleunigung und gleich wieder radikales Abbremsen. Man liegt angegurtet wie ein Käfer auf dem Rücken da. Das Bremsen ist deutlich schlimmer als das Gas geben. Man versucht vergeblich mitzubremsen, wenn Treluyer mal wieder nach subjektiverWahrnehmung deutlich zu spät vom Gaspedal geht. Beim ersten Versuch, eine schnelle Runde zu fahren, bremst uns glücklicherweise Prinz Leopold von Bayern, der mit einem BMW über die Strecke tuckert, etwas aus. Treluyer wirbelt mit den Händen herum, zieht im letzten Moment aus dem Windschatten heraus und zieht an dem Prinzen vorbei.
Ich muss mich später allerdings auf die Erzählungen meines Piloten hinterher verlassen, weil ich in dem Moment die Augen geschlossen hatte.