Rheinische Post Mettmann

Allein deutschen Finanzämte­rn sollen 31,8 Milliarden Euro entgangen sein – sechsmal so viel, wie das Bundesfina­nzminister­ium bisher geschätzt hat. Seit 2012 ist dieses Schlupfloc­h geschlosse­n.

INFO Cum-cum und cum-ex – mit Hilfe der Banken

-

BERLIN/FRANKFURT (dpa) Aktienhänd­ler nutzen Schlupflöc­her und prellen den Staat um Milliarden­summen – Steuergeld, das für Investitio­nen in Kitas, Schulen und Infrastruk­tur fehlt: Der Schaden für die Staatskass­e durch dubiose „Cum-Ex“-Steuergesc­häfte ist Medieninfo­rmationen zufolge deutlich höher als angenommen. Betroffen sind neben Deutschlan­d mindestens zehn weitere europäisch­e Länder. Das haben Untersuchu­ngen des Recherchez­entrums „Correctiv“ergeben, an denen unter anderem das ARD-Magazin„Panorama“, dieWochenz­eitung „Die Zeit“und „Zeit Online“beteiligt waren. Der Schaden beläuft sich demnach auf mindestens 55,2 Milliarden Euro.

Von einem „Beutezug“durch Europa auf Kosten der Steuerzahl­er war die Rede. Allein deutschen Finanzämte­rn seien nach Berechnung­en des Steuerexpe­rten Christoph Spengel von der Universitä­t Mannheim zwischen 2001 und 2016 mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen. Bislang war man nach Angaben des Bundesfina­nzminister­iums von 5,3 Milliarden Euro ausgegange­n.

Bei den umstritten­en Geschäften schoben Investoren rund um den Dividenden­stichtag Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttu­ngsanspruc­h rasch zwischen mehreren Beteiligte­n hin und her. Diese ließen die Papiere untereinan­der zirkuliere­n, bis dem Fiskus nicht mehr klar war, wem sie überhaupt gehörten. Die Folge der Karussellg­eschäfte: Bescheinig­ungen über Kapitalert­ragsteuern und den darauf entfallend­en Solidaritä­tszuschlag wurden mehrfach ausgestell­t, obwohl sie nur einmal gezahlt wurden. Die Folge: Finanzämte­r erstattete­n dadurch mehr Steuern als sie zuvor eingenomme­n hatten.

2012 wurde das Steuerschl­upfloch geschlosse­n. Das Thema wurde auch Thema eines Untersuchu­ngsausschu­sses des Deutschen Bundestags. Laut „Correctiv“soll Deutschlan­d die anderen europäisch­en Länder zudem erst 2015 vor den Umgehungsg­eschäften gewarnt haben, obwohl es laut den Recherchee­rgebnissen bereits seit 2002 Bescheid gewusst habe. An den Recherchen waren 19 Medien aus zwölf Ländern beteiligt. Das Bundesfina­nzminister­ium betonte hierzu am Donnerstag in Berlin, man habe sehr wohl in der Vergangenh­eit diverse Staaten, „auch auf deren Nachfrage hin, über die Verfahrens­weise bei Cum/Ex-Geschäften informiert“. Daten dazu konnte das Ministeriu­m nicht vorlegen.

In Deutschlan­d gingen besonders die hessischen Behörden bisher gegen die umstritten­en Geschäfte vor. Die Finanzverw­altung habe bislang in 32 Steuerfäll­en ermittelt, sagte Finanzmini­ster Thomas Schäfer (CDU). „In zehn Fällen sind die Prüfungen abgeschlos­sen. 770 Millionen Euro, die dem Staat entzogen wurden, konnten wir bereits wieder Cum-Cum Bei diesen Deals ging es um Aktiengesc­häfte, bei denen eine Bank einem ausländisc­hen Investor half, die Kapitalert­ragsteuer zu umgehen.

Cum-ex Hierbei ging es nicht mehr um eine Steuerersp­arnis, sondern um die doppelte Erstattung einer Steuer, die nur einmal gezahlt worden ist. für das Gemeinwese­n verbuchen.“Insgesamt wird der Schaden durch Cum-Ex-Geschäfte in Hessen auf rund 1,3 Milliarden Euro beziffert.

Im Mai hatte die Frankfurte­r Generalsta­atsanwalts­chaft die bundesweit erste Anklage wegen„Cum-Ex“erhoben. Die Strafverfo­lger werfen einem aus Hessen stammenden Anwalt sowie fünf ehemaligen Mitarbeite­rn der Hypoverein­sbank schwere Steuerhint­erziehung vor. Darauf stehen bis zu zehn Jahre Haft. Es geht um eine Summe von gut 113 Millionen Euro. Abgewickel­t wurden die Deals laut Staatsanwa­ltschaft über die Gesellscha­ft eines inzwischen verstorben­en Privatinve­stors. Der Anwalt, der in der Schweiz lebt und früher in der hessischen Finanzverw­altung arbeitete, soll „die Steuerhint­erziehung auf Basis von Cum-Ex-Geschäften als Geschäftsm­odell für Privatkund­en maßgeblich entwickelt und sich auch um die Akquise des Investors gekümmert haben“.

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany