Nur Perfektion kann Boll stoppen
Zum sechsten Mal erreicht Timo Boll trotz Trainingsrückstands das Finale des World Cups und gewinnt Silber. Im Endspiel gelingt es erst einem perfekt aufspielenden Chinesen, den 37-Jährigen zu stoppen.
PARIS/DÜSSELDORF Vor dem drittwichtigsten Turnier im Tischtennis-Kalender hatte nicht mal der erfahrene Timo Boll (37) eine Ahnung, wo genau er im Vergleich mit den Besten der Welt steht. Zum World Cup der Männer vor den Toren von Paris war er mit Trainingsrückstand angereist. Und doch: Kaum angekommen, fuhr Boll alles auf, was ihn seit gut zwei Jahrzehnten so stark macht. Boll zog ins Finale ein und sorgte für den zweiten Sensations-Erfolg dieses Jahres.
Vor gut vier Wochen hatte der Starspieler von Tischtennis-Bundesligist Borussia Düsseldorf bereits die europäische Konkurrenz dominiert, als er zum siebten Mal Europameister wurde. In Alicante gab er geradezu erstaunt zu Protokoll: „Ich hätte selbst nicht damit gerechnet.“Vier Wochen sind seither vergangen. Und wieder wundert sich alle Welt über die Stärke des Düsseldorfers.
Zum sechsten Mal in seiner Karriere stand der Weltranglistendritte am Sonntag im Weltpokalfinale. Das Endspiel nahm zwar kein Happy End, weil er dem Weltranglistenersten Fan Zhendong mit 1:4 unterlag. Mehr denn je aber war der Weg ins Endspiel das Ziel.
Leichtfüßigkeit, Cleverness und Variabilität. Boll zeigte in Paris all das. Zunächst am Samstagabend im Generationenduell gegen Tomokazu Harimoto (Japan). Im Viertelfinale fand Boll den Schlüssel zum Erfolg gegen den 15-Jährigen: Immer wieder spielte er Harimoto auf dem Körper an und zwang das„Jahrhunderttalent“zu Fehlern. Versteifen durfte sich Boll auf diese Taktik nicht. Wieder und wieder schlugen Topspins des Japaners unerreichbar in der tiefen Vorhand des Linkshänders ein. Boll blieb unbeeindruckt. Nach dem 0:1 drehte er auf und legte vier Sätze lang taktische Variabilität und vorbildliche Beinarbeit hin.
Boll hatte sich am Tisch gewohnt fair verhalten, nie laut in Richtung Harimoto gejubelt, auch wenn es sein Gegenüber anders hielt. Boll hatte Harimoto nach dem Spiel gar einen väterlichen Klaps auf die Schulter gegeben und gesagt: „Ich habe sehr viel Respekt, er trainiert sehr hart. Ich war aber sehr gut vorbereitet.“
Im Halbfinale am Sonntagmittag dann musste Boll gegen seinen Freund und ehemaligen Düsseldorfer Teamkollegen Dimitrij Ovtcharov antreten. Es war das erwartet enge Spiel zweier Könner, die sich bestens kennen. Und es war die Neuauflage des Final-Duells von 2017. Der Sieger damals: Dimitrij Ovtcharov. Diesmal aber war Boll besser als sein sieben Jahre jüngerer Kontrahent. „Super gespielt“sagte der enttäuschte Ovtcharov beim Handschlag nach dem 4:2 für Boll. „Es ist nicht einfach gegen einen Freund zu spielen, ich bin auch mit ihm traurig“, sagte Boll.
Immer wieder hatten die 4000 Zuschauer in der ausverkauften Arena den 37-Jährigen gepusht.Wie in der Düsseldorfer Halle am Staufenplatz schallte das „Timo, Timo“durch die Halle. Auch im Finale standen sie hinter ihm, als in Fan Zhendong der Chinese wartete, der Boll Anfang April vom ersten Weltranglistenplatz
verdrängt hatte. Mit nur einem einzigen Satzverlust war Zhendong ins Finale eingezogen.
Nachdem Ovtcharov im Spiel um Platz drei gegen den Weltranglistenfünften Lin Gaoyuan (China) verloren hatte, war Boll gegen Zhendong an der Reihe. Wieder wollte er durch die Mitte punkten, wählte Rotationsbälle gegen die harte Spielweise des Chinesen. Der 21-Jährige blieb aber ein Schloss, das nicht zu knacken war. Zhendong zeigte ein perfektes Spiel mit perfekter Taktik (hohes Tempo, lange Bälle), siegte 4:1 und feierte seinen zweiten Sieg beim ITTF World Cup.
Timo Boll wartet weiter auf seinen ersten Sieg über Zhendong. Der Tischtennis-Weltelite aber hat er es erneut bewiesen: Wer Titel will, muss Boll besiegen.