Schnee ist auch ein Lehrmeister
Wie es ist, wenn wir die Welt für kurze Zeit mal nicht im Griff haben.
Diesmal sind wir ja nur die Zaungäste; wir Rheinländer also, die gen Süden schauen und dort die Welt im Schnee versinken sehen. Und natürlich ist unsere Sehnsucht groß, auch diese Glitzerwelt vor der eigenen Haustür erleben zu dürfen. Das lässt sich spielend leicht vor dem Fernseher daheim wünschen. Sollten aber demnächst auch bei uns nur ein paar Flocken fallen, ist das Chaos garantiert groß. Sehnsucht, Not und Glitzerwelt – Schnee ist immer mehr als nur irgendein Wetter. Schnee verwandelt unsere Welt von einem Moment auf den anderen und taucht sie oft in eine heimliche, manchmal auch unheim- liche Stille. Das macht nachdenklich. Auch deshalb fühlten und fühlen sich so viele Dichter inspiriert vom Schnee, und nicht immer nur fröhlich. „Verschneit liegt rings die ganze Welt, / ich hab‘ nichts, was mich freuet, / verlassen steht der Baum im Feld, / hat längst sein Laub verstreuet“, hat Joseph Freiherr von Eichendorff gedacht und gedichtet. Schnee, abseits unserer verklärten, romantischen Vorstellung, kann auch eine gute Bremse in unserem Leben sein. Noch betrachten wir es nur bei jenen fernen Orten, die eingeschneit sind und nur mit hohem Aufwand versorgt werden können. Die Welt, die wir ja irgendwie im Griff zu haben scheinen, muckt auf. Widersetzt sich. Stört unsere Abläufe, verhindert die geplante Rückfahrt aus dem Urlaub, führt zu Staus auf den Autobahnen. Dann wird der Schnee zu einem leisen Lehrmeister, der unsere Aktivitäten für eine kurze Zeit einfach mal unterbindet. Das ist eine Chance, darüber nachzudenken, wie klein im Grunde unser Fluchen darüber ist, dass etwa die Autobatterie streikt. Die Einsicht, dass wir eine kurze Zeit lang mal nicht „Herr der Lage“sind, ist eine Erinnerung daran, was es heißt, nicht ein Mensch der Welt, sondern ein Mensch in der Welt zu sein.
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