Rheinische Post Mettmann

Gummersbac­her Blues

Der einstmals beste Handballve­rein der Welt ist in der zweiten Bundesliga angekommen. Der VfL musste wie andere Traditions­vereine vor ihm lernen, dass vergangene Erfolge keine dauerhafte Währung sind.

- VON SEBASTIAN FUHRMANN UND STEFAN KLÜTTERMAN­N

GUMMERSBAC­H Wenn Frank Helmenstei­n Recht hat, ist Gummersbac­h in diesen Tagen die NRW-Metropole des Blues. Schließlic­h sei, hatte der CDU-Bürgermeis­ter vor wenigen Tagen gesagt, Handball-Bundesligi­stVfL Gummersbac­h der Soundtrack des Lebens im Oberbergis­chen. Und dieser Soundtrack untermalt eben aktuell den ersten Bundesliga­abstieg des Urgesteins. Das für viele Undenkbare ist eingetrete­n: Gummersbac­h ist nach 53 Jahren nur noch zweitklass­ig. Selbst das Label Tradition konnte den VfL nicht retten, weil es außer Tradition in den vergangene­n Jahren nur noch wenig gab, was den Niedergang unausweich­lich erscheinen lassen musste. Gummersbac­h lernte die Lektion, die lange vor ihm schon der TV Großwallst­adt oder TuSEM Essen lernen mussten: Tradition wirft keine Tore und zahlt keine Rechnungen. „Es wird immer noch über denVfL geredet, jeder kennt die Erfolge. Aber davon muss man sich jetzt lösen“, sagte Vereinsiko­ne und Ex-Bundestrai­ner Heiner Brand.

Früher war Gummersbac­h der Nabel Handballde­utschlands, ja zeitweise der Handball-Welt. Doch aus dem Biotop der 60er, 70er, 80er Jahre ist bis 2019 ein Standortna­chteil geworden. Lange konnte derVfL von seinem stolzen Blick zurück leben. Und dieser Blick landete automatisc­h bei Eugen Haas. Dem Gummersbac­her Unternehme­r, der selbst Feldhandba­ll beim VfL gespielt hatte und später als Unternehme­r für Büroeinric­htungen „seinen“Verein in die Weltspitze führte. Haas lockte die Stars mit gut dotierten Verträgen und berufliche­n Anschlussm­öglichkeit­en in die bergische Provinz, und die Stars holten im Gegenzug die Titel. Zwölfmal wurde Gummersbac­h zwischen 1966 und 1991 Deutscher Meister. Bis 1983 holte man fünf mal den Europapoka­l der Landesmeis­ter. Die Liste ehemaliger Spieler liest sich wie eine Ruhmeshall­e des Handballs: von Hansi Schmidt und Erhard Wunderlich über Joachim Deckarm und Heiner Brand zu Stefan Kretzschma­r und Kyung-Shin Yoon und schließlic­h zu Julius Kühn oder Daniel Narcisse. Sie alle brachtenWe­ltklasse nach Gummersbac­h.

Die Frage lautet also: Wann begann der Niedergang von Weltklasse zu zweiter Klasse? Die Antwort: Zu dem Zeitpunkt, als Sportverei­ne selbst Wirtschaft­sunternehm­en wurden. Als Haas sich 1991 aus gesundheit­lichen Gründen als Macher zurückzog, wurde aus dem Traditions­verein immer mehr der Underdog von hinterm Berg. Hinzu kam: Der VfL spielte noch bis 2013 in einer besseren Turnhalle vor maximal 2100 Zuschauern, die heutige Schwalbe-Arena (4100 Zuschauer) steht erst seit 2013. 3232 Fans kamen im Schnitt in der abgelaufen­en Saison zu den Heimspiele­n, in Kiel waren es 10.285. Große Brötchen wurden schon länger woanders gebacken, aber bislang reichten die Gummersbac­her Brötchen noch fürs Oberhaus. Finanziell­e Lücken musste der Verein zuletzt immer wieder stopfen. 2011 wurde in letzter Sekunde die Insolvenz vermieden. Am Ende wirkte der VfL als Gesamtkons­trukt einfach auch abstiegsre­if.

Der Verweis auf Tradition hilft bei der Planung für die zweite Liga auch nur bedingt. Zumindest die Lizenz hat man schon in der Tasche, doch mit welchem Kader das Ziel Wiederaufs­tieg in Angriff genommen werden soll, ist noch unklar. Ein Selbstläuf­er wird die Rückkehr ins Oberhaus jedenfalls nicht. Fünf, sechs Teams kommen als Aufsteiger infrage. Und nur zwei werden am Ende jubeln.

Wie es sich anfühlt abzusteige­n, weiß der Nachbar nur zu gut. „So ist es uns ja auch schon zweimal ergangen“, sagte der Geschäftsf­ührer des Bergischen HC, Jörg Föste. „Wir können da gut mitfühlen.“Für den Klub aus Solingen brechen durch den Abstieg nun Einnahmen weg.„Für uns waren es immer stimmungsv­olle Derbys. Es waren immer Highlights der Saison, die nun wegfallen. Das müssen wir nun akzeptiere­n.“Wegen des starken Zuschauerz­uspruchs spielten die Klubs auch schon in der Kölner Arena gegeneinan­der.Wie schnell es wieder ein Derby gibt, ist völlig offen. „Für den Klub ist die zweite Liga Neuland“, warnte Föste. „Sie müssen sich in Gummersbac­h jetzt schnell an das neue Fahrwasser gewöhnen.“

Heiner Brand hat schon mal abgewunken, als großer Retter einzusprin­gen. Aber auch in Liga zwei werde er zu Heimspiele­n vorbeiguck­en. „Es fällt schwer, mir die Bundesliga ohne den VfL vorzustell­en“, sagte Brand. Und im Hintergrun­d tönte irgendwo leise der Oberbergis­che Blues.

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Präsident Eugen Haas (l.) und
Spieler Heiner Brand bejubeln in der Dortmunder Westfalenh­alle den Gewinn des Europapoka­ls der Pokalsiege­r.
FOTO: IMAGO IMAGES 4. Mai 1978: Gummerbach­s Präsident Eugen Haas (l.) und Spieler Heiner Brand bejubeln in der Dortmunder Westfalenh­alle den Gewinn des Europapoka­ls der Pokalsiege­r.

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