Schlammlawine stoppt Alpen-Spektakel
Die 19. Etappe muss nach heftigem Wolkenbruch abgebrochen werden. Nun wird auch noch die 20. Etappe verkürzt.
TIGNES (dpa) Als auch noch eine riesige Schlammlawine den Col de l‘Iseran hinunterrollte, war das Chaos bei der Tour de France perfekt. Nach Schnee, Regen- und Hagelschauern standen Emanuel Buchmann und Co. in Regenjacken hilflos am Straßenrand. Zuvor waren sie an einem Tag für die Geschichtsbücher auf der rasenden Abfahrt gerade noch rechtzeitig gestoppt worden. Tourchef Christian Prudhomme hob verzweifelt die Arme, während ein großes Räumfahrzeug mit den Schlamm- undWassermassen kämpfte.
„Man hat gesehen, dass es einfach nicht möglich war. So etwas ist mir noch nie passiert, dass abgebrochen wurde. So viel Hagel habe ich auch noch nie gesehen“, sagte Buchmann. Wegen Erdrutschen und zu erwartender Gewitterschauer wurde am späten Freitagabend auch die 20. Etappe verkürzt. Albertville als Startort und Val Thorens als Zielort bleiben zwar bestehen, doch dazwischen wird abgekürzt. Statt 130 Kilometern müssen die Fahrer nur etwa 60 Kilometer absolvieren.
Ungeachtet der Wetterkapriolen ging es am Freitag auch sportlich drunter und drüber – mit entscheidenden Änderungen für das Gesamtklassement. Denn die Jury entschied, die Zeitabstände auf dem Iseran zu nehmen. Dabei darf Buchmann nun sogar vom Podium auf den Champs Élysees träumen, vor dem Showdown am Samstag hat er sich auf den fünften Platz katapultiert. Nur noch 1:42 Minuten liegt er hinter dem Gelben Trikot. Neuer Spitzenreiter ist der Kolumbianer Egan Bernal, der vor dem Abbruch einem Solosieg entgegen fuhr.
Für die Grande Nation wurde es ein ganz bitterer Tag: Erst musste Frankreichs Mitfavorit Thibaut Pinot unter vielen Tränen das Rennen aufgeben, ehe am vorletzten Anstieg dessen Landsmann und Gelbträger Julian Alaphilippe einen kleinen Einbruch erlitt und nun in der Gesamtwertung 45 Sekunden hinter Bernal liegt.
„Es ist die absolut richtige Entscheidung. Die Jury hat eine ganz gute Lösung gefunden, in dem sie die Zeit auf dem Iseran genommen hat“, sagte Buchmanns Teamchef Ralph Denk. Zwei Tage vor dem großen Finale auf den Champs Élysees scheint für den 26-jährigen Buchmann vieles möglich, das Podium auf jeden Fall. „Weit ist es nicht mehr weg. Morgen nochmal alles geben und dann schauen, was am Ende rauskommt. Ich fühle mich für die dritte Woche noch echt gut, so habe ich mich bei einer dritten Woche noch nie gefühlt“, ergänzte Buchmann.
Der große Favorit auf den Triumph in Paris ist Bernal. Mit im Rennen sind noch der britische Titelverteidiger Geraint Thomas (1:03 Minuten zurück) und der viertplatzierte Niederländer Steven Kruijswijk (1:15) aus dem Team Jumbo Visma. Jetzt schaut alles auf den Schlussakt am Samstag, wenn die letzte Bergankunft in Val Thorens ansteht. „Der Berg ist extrem schwer. Das sind 1900 Höhenmeter. Da wird jeder fahren, was geht. Ich denke, das ist der Showdown“, sagte Buchmann mit Blick auf die Kletterpartie. Diese dürfte nun nochmal etwas intensiver werden, schließlich macht der 33,4 Kilometer lange Anstieg mehr als die Hälfte des deutlich verkürzten Kurses aus.
Auf dem Schlussanstieg nach Val Thorens hinauf fällt die Entscheidung über den Sieger der 106. Tour de France. 5,5 Prozent geht es für die Fahrer zum 2365 Meter hohen Alpen-Riesen hinauf. Ein Anstieg, den sich Buchmann in derVorbereitung genau angeschaut hat. Am Samstag wird es keine Taktiererei mehr geben, schon nach gut 20 Kilometern beginnt das große Finale.