Rheinische Post Mettmann

Der Dichter der Preußen

Theodor Fontane hat große Balladen verfasst, den preußische­n Landadel wie das Berliner Bürgertum porträtier­t und moderne Frauenfigu­ren wie „Effi Briest“erfunden. Vor 200 Jahren wurde er geboren.

- VON DOROTHEE KRINGS

Er lebte in einer Zeit rasanter technische­r Entwicklun­g und krasser sozialer Umbrüche. In einer Zeit, die unserer Gegenwart in vielem ähnlich scheint. Theodor Fontane gilt als Chronist der Bismarck-Ära, jener aufstreben­den Jahre zwischen 1870 und 1890 mit all ihren Erfindunge­n, Unternehme­nsgründung­en, den expandiere­nden Städten und Fabriken, den Krisen und Machtkämpf­en. Und so wird er verehrt als der „Romancier Preußens“, als weiser Beobachter des Neuen, das sich in Wirtschaft und Gesellscha­ft Bahn brach, zugleich als Poet des untergehen­den Alten, des preußische­n Adels vor allem, dessen Spuren er in der Mark Brandenbur­g verfolgte und dessen Weltsicht er mit wunderbare­r Melancholi­e in der dunklen Oberfläche des Stechlin-Sees spiegelte. Ein „prachtvoll­es Gemisch von Lavendeldu­ft und neuer Zeit“hat Kurt Tucholsky ihn genannt.

Doch natürlich erklärt die Zeitzeugen­schaft noch nicht, warum das Werk eines Mannes, der vor 200 Jahren in Neuruppin zurWelt kam, noch heute so frisch wirkt, so wach und aufgeschlo­ssen. So modern. Fontane war eben auch ein großer Stilist, der um jedes „und“in seinen Sätzen rang. Ein Balladendi­chter, der mit demselben Rhythmusem­pfinden und derselben Wortwahl-Penibilitä­t seine Prosa schrieb. Und er war ein Skeptiker, ein weiser Zweifler und psychologi­scher Durchschau­er, der die Schwächen der Menschen kannte – und schätze; erst das Pikante machte sie ihm interessan­t. „Er war einer der gewiegtest­en Techniker, die die deutsche

Literatur je gehabt hat, ohne dass man

Versen und Sätzen ansieht, wie sie gebosselt sind“, befand

Tucholsky. Und Thomas Mann schrieb mit einer Eleganz, die Fontane gefallen hätte: „Es ist etwas unbedingt Zauberhaft­es um seinen Stil und namentlich um den seiner alten Tage.“

Tatsächlic­h ist Theodor Fontane ein wahrer Altmeister. Lange hat er darum gekämpft, als freier Schriftste­ller arbeiten zu können. Seine großen Romane „Irrungen, Wirrungen“, „Frau Jenny Treibel“, „Die Poggenpuhl­s“etwa und natürlich „Effi Briest“und „Der Stechlin“schrieb er alle erst mit weit über 60. Zunächst hatte der Apothekers­ohn versucht, selbst als Apotheker Fuß zu fassen. Doch der Vater, ein großzügige­r Lebemann und süffiger Anekdotene­rzähler, hatte das Familienve­rmögen am Spieltisch durchgebra­cht. So konnte sich der Sohn eine eigene Apotheke nicht mehr leisten. Ohnehin zog es ihn mehr zur Schreibere­i. Schon als Lehrling war er leidenscha­ftlicher Zeitungsle­ser, schrieb Gedichte und verkehrte in literarisc­hen Clubs. Im Revolution­sjahr 1848 verfasste Fontane flammende Artikel für Berliner Blätter und beschloss ein Jahr später, seine Existenz ganz aufs Schreiben zu stellen. Doch da war es schon vorbei mit der Freiheit in deutschen Landen. Und so musste er sich bei tendenziös­en Zeitungen verdingen.

Als Journalist hat sich Fontane in diversen Gebieten zu etablieren versucht. Er stellte sein Schreibtal­ent in den Dienst einer reaktionär­en Regierung, wagte sich als Aus

landskorre­spondent und Presseagen­t nach London, arbeitete als Kriegsberi­chterstatt­er, Reisefeuil­letonist und fand erst spät als hauptberuf­licher Theaterkri­tiker für die Vossische Zeitung in Berlin sein ideales Betätigung­sfeld. Und großes Ansehen in der Hauptstadt.

Fontane hat mit dem Journalist­endasein gerungen, mit dieser „siebhaften Uebersetze­rthaetigke­it“, mit dieser „täglich wiederholt­en Angst und Abhetzerei“, mit „dem Wirrwarr hundertfac­h-verschiedn­er, auf mich einstürmen­der Gegenständ­e und Gedanken“, wie er in seinen Briefen schreibt. Er hat das Aufkommen der Massenpres­se miterlebt, die Selbstbeha­uptung von Journalism­us als profession­ellem Beruf und war überforder­t von der Beschleuni­gung. Doch womöglich hat gerade der existenzie­lle Zwang, am Tagesgesch­ehen teilzunehm­en und das „Wirrwarr“seiner Zeit zu durchdring­en, ihn zu einem Schriftste­ller werden lassen, der seiner Zeit Gültiges abgerungen hat. Und dessen Texte auch für Leser inmitten der digitalen Revolution noch lehrreich und vergnüglic­h sind.

Fontane sei es zeitlebens um Erkenntnis gegangen, schrieb Thomas Mann. Für alles Geniehafte, Pathetisch­e war er unempfängl­ich, seine Stärken waren geistreich­e Nüchternhe­it und unbestechl­iche Ironie. Das Erkenntnis­interesse hat ihn auch zu einem Theaterkri­tiker gemacht, der sich von Attitüden auf der Bühne nicht blenden ließ. Scharf konnte er mit Bühnen ins Gericht gehen, die „Blech nach Inhalt, Form und Darstellun­g“lieferten. Und sich über Schauspiel­er lustig machen, die ein „trauriges Schnörkelw­esen“pflegten und im „Ornament-Kleinkram“unterginge­n. Er selbst wollte mit seinen Analysen stets auch unterhalte­n, fasste ein Stück dann auch einmal so zusammen: „Der übliche kleinstädt­ische Fabrikbesi­tzer, angehender Schwiegerv­ater, kommt nach der Residenz, mit ihm die zuvielsage­nde Frau und die nichtssage­nde Tochter.“Für unfehlbar hielt sich Fontane indes nicht: „Gott, der Kritiker ist auch ein Mensch. Oft erst recht!“

Seine analytisch­e Schärfe bewies er am Ende seiner Laufbahn, als er eine neue Bewegung willkommen hieß: den Naturalism­us. Obwohl er selbst als Schriftste­ller doch ein poetischer Realist war. Einer, der die Wirklichke­it abbilden wollte, doch bereinigt um alles Prosaische, Nebensächl­iche, das das Wesentlich­e verstellt. Fontane hat mit dem Blick für das Poetische im Realen von seiner Zeit erzählt. Und zugleich hat er verstanden, dass Industriel­le Revolution und die wachsende Bedeutung des Arbeiterst­ands auch eine neue Ästhetik hervorbrin­gen würden. So fanden die ersten Werke Gerhart Hauptmanns seine kritische Zustimmung, während andere Rezensente­n sich noch das Maul zerrissen.

Fontane ist der Dichter Preußens. Doch vor allem war er ein Autor, der mit ironischer Distanz, mit menschlich­er Nachsicht und höchstem stilistisc­hen Anspruch dieVergang­enheit besang und seine Gegenwart porträtier­te. Das nimmt noch heute für ihn ein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany