Rheinische Post Mettmann

Menschen die Angst nehmen

AN(GE)DACHT

- PFARRER VOLKER HORLITZ, EVANGELISC­HE KIRCHENGEM­EINDE HOCHDAHL

Es gibt Geschichte­n, die berühren das Herz und lassen einen für einen Moment innehalten. So eine Geschichte ist die von Jack, die ich vor kurzem gelesen habe. Jack ist Autist, eine Krankheit, die das uns vertraute soziale Verhalten einschränk­t und verändert. Jack hat Angst, vor allem Angst vor vielen Geräuschen. Doch dann ist sein großer Tag. Er bekommt endlich das Abschlussz­eugnis seiner Schule. Er hat es geschafft, hat alle Prüfungen bestanden. Während einer großen Feier werden die Zeugnisse ausgegeben und Glückwünsc­he ausgesproc­hen.

Die große Halle ist mit vielen Schülerinn­en und Schülern, Eltern und Freunden gefüllt. Und dann wird Jacks Name aufgerufen. Er geht langsam zur Bühne, hält sich die Ohren fest zu. Als er vorne angekommen ist und sich zu den

Solche Momente wünschen wir uns. Und sie sind

möglich

Menschen hin umdreht, klatschen die gar nicht. Sie tun es stattdesse­n lautlos, deuten ein Klatschen nur an, erheben sich aber von ihren Plätzen. Manche winken ihm zu. Jack kann seine Hände von den Ohren nehmen. Er hatte nämlich auch nicht gehört, wie der Direktor zuvor alle gebeten hatte, ausnahmswe­ise einmal ganz still zu sein. Es ist ein großer Augenblick für Jack, für seine Familie und für die Schule. Menschen erkennen die Not eines anderen und stellen sich darauf ein. Solche Momente wünschen wir uns. Und sie sind möglich. Nur leider passieren sie nicht jeden Tag.

Es gibt Angst vor so vielem: vor Krankheit, Verlust, vor der Zukunft. Wenn Menschen Angst empfinden, mag das aus der Sicht anderer nicht immer berechtigt sein, aber sie ist dennoch da. Angst kann man nicht einfach weg reden oder mit militärisc­her Gewalt beenden, aber man kann anbieten, zuzuhören, gemeinsam Lösungen zu suchen. Deshalb finde ich es richtig und wichtig, dass Honkongs Regierungs­chefin Carie Lam eine Dialogoffe­nsive starten will. So teilt man die Angst des anderen. Damit wird sie nicht gleich leichter, aber leichter erträglich.

Menschen, die anderen Angst machen, gibt es genug. Leider. Viele Regierungs­chefs sehen darin momentan ein probates Mittel, nationale Interessen gnadenlos durchzuset­zen. Schon kleine Schritte helfen, Angst zu nehmen. Gucken wir genau hin, wo und wovor Menschen Angst haben und trauen wir uns, die ersten Schritte zu tun, um Menschen Angst zu nehmen. Jesus hat es uns vorgelebt, er hat genau zugehört und so Menschen die Angst genommen. „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“(Johannes 16,33), waren seine Worte, die uns Mut machen sollen, seinem Beispiel zu folgen.

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